“Linke zu sehr auf soziale Frage fixiert”
Interview mit der Freien Presse vom 12.4.2011
Sachsens Linksparteichef Rico Gebhardt verlangt schnelle Kurskorrektur – Werbung für einen Neubeginn mit Ramelow und Bartsch
Dresden – Die Angst vor einem Rückfall in die Bedeutungslosigkeit fördert die Offenheit bei führenden Linken. Rico Gebhardt, Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes, der mit 11.800 Mitgliedern der größte ist, sieht Parallelen zum desolaten Zustand der FDP. Unverhohlen wirbt er für einen Neubeginn mit Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch. Mit Gebhardt sprach Hubert Kemper.
Freie Presse: Ihre Parteiführung hat die für Juni geplante Konferenz der Kreisvorsitzenden mit der Begründung vertagt, dass sich keine geeigneten Räume zu akzeptablen Preisen gefunden hätten. Geht es der Linken so schlecht? Rico Gebhardt: Das muss man leider vermuten. Allerdings sehe ich weniger finanzielle Probleme, sondern Defizite in der Kommunikation und in der Bereitschaft, die Partei strategisch neu auszurichten. Deswegen war die Absage falsch und wurde nach Protest der Kreisvorsitzenden nun korrigiert.
Die Kreisvorsitzenden beklagen fehlenden Meinungsaustausch und nachlassende Mobilisierung der Basis. Trifft die Kritik nicht auch den Landesvorsitzenden?
Rico Gebhardt: Klar. Ein Vorsitzender hat immer die Verantwortung dafür, wenn die Mitglieder unzufrieden sind. Auch in unserer Partei erwarten die Mitglieder, dass konstruktive Anregungen von der Führung aufgegriffen werden, erst recht, wenn diese sich eigenen Anstößen versagt. Ich finde es bedauerlich, dass die Linke öffentlich kaum wahrgenommen wird, obwohl aktuelle politische und gesellschaftliche Veränderungen unsere Stimme geradezu herausfordern. Unsere Anhänger, ja jeder Bürger, hat ein Recht darauf zu erfahren, welche Position die Linke hat und in welche Richtung sie marschieren will.
Warum verweigert sich der Parteivorstand der offenen Debatte?
Rico Gebhardt: Klaus Ernst hat einmal gesagt, der Grad der Übereinstimmung beim Entwurf des Parteiprogramms liege bei 90 Prozent, und nur über die zehn Prozent Differenzen müsse gestritten werden. Mit dieser Einstellung macht ein Parteichef die Debatte tot. Im Osten stößt das besonders auf, denn eine derartige Argumentation war ich aus meiner SED-Zeit gewohnt. Ich hoffte, dies in meiner Partei überwunden zu haben.
Ist der Blick von Ernst für die Wirklichkeit vor Ort getrübt?
Rico Gebhardt: Bedenklich ist in jedem Fall, dass uns zu wenige Menschen eine Kompetenz zu Problemlösungen zubilligen. Mancher Linke hat sicher bei Ausbruch der Finanzkrise an das Ende des Kapitalismus geglaubt und sich dann gewundert, dass sich der Kapitalismus als äußerst anpassungsfähig erwiesen hat, was das Vertrauen der Wähler zu etablierten Parteien bewiesen hat.
Was folgern Sie daraus?
Rico Gebhardt: Dass wir uns endlich Themen öffnen müssen, die die Menschen bewegen. Die Linke ist viel zu sehr auf ein Thema fixiert, das ist die soziale Frage. Wir sollten Lösungsansätze bei den Fragen Energiepolitik, bei Ökologie, Strukturwandel und bei der Globalisierung anbieten. Zukünftig werden alle diese politischen Felder noch enger mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit verbunden sein. Darauf müssen wir Antworten geben. Was aber mit einer Partei passiert, die sich als Ein-Punkt-Partei verstanden hat, das beweist das Schicksal der FDP mit ihrer Fixierung auf Steuersenkung.
Sie befürchten ein Schicksal, wie es die FDP erleidet?
Rico Gebhardt: Die FDP ist ein warnendes Beispiel für Armut an Inhalt und Personen. Denn mit dem Austausch von Westerwelle gegen Rösler hat sie ihre Probleme längst nicht gelöst.
Aber auch den Linken fehlen Alternativen zu den heutigen Leitfiguren. Oder setzen Sie auf ein Comeback von Lafontaine?
Rico Gebhardt: Nein. Einen Weg zurück in die Vergangenheit werde ich für Sachsen nicht mitgehen können. Aber vorstellbar wäre für mich, dass sich eine Mehrheit um Bodo Ramelow oder Dietmar Bartsch scharen würde. Beide stehen für einen Kurs der Öffnung und der Offenheit. Mit Menschen wie ihnen könnten wir auch bürgerliche Kreise erreichen, die ansonsten um die Linkspartei einen Bogen machen.
Ihr jetziges Führungsduo will die Debatte aber am liebsten bis nach den Landtagswahlen verschieben.
Rico Gebhardt: Das wäre ein Riesenfehler. Was wir brauchen, ist eine breit angelegte Strategiedebatte. Kritik und Debatten sind substanziell wichtig für die Entwicklung einer linken Partei. Eine Diskussion um Personen brauchen wir erst 2012. Wenn wir uns weiter verweigern, werden wir auch in Berlin, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern böse Überraschungen erleben.
Die West-Offensive der Linken haben Sie bereits abgeschrieben?
Rico Gebhardt: Nein, die ist gestoppt. Wie lange, das hängt auch davon ab, ob Vorschläge, wie ich sie hier mache, umgesetzt werden.