Eröffnungsrede des 5. Landesparteitag

„Hast du dich heute schon geärg­ert, war es heute wieder schlimm?
Hast du dich wieder gefragt, warum kein Men­sch was untern­immt?
Du musst nicht akzep­tieren, was dir über­haupt nicht passt,
wenn du deinen Kopf nicht nur zum Tra­gen ein­er Mütze hast.“

Das, liebe Genossin­nen und Genossen,
sind Textzeilen aus dem Song der ÄRZTE, den Ihr ger­ade gehört habt. Ein­mis­chen, mitre­den, wählen, protestieren und für Alter­na­tiv­en kämpfen – das ist unter anderem, was Demokratie aus­macht. Nicht nur in Par­la­menten, son­dern auch auf den Straßen. Wir erleben ger­ade, dass die Bürg­erin­nen und Bürg­er unseres Lan­des, nicht nur in Stuttgart oder im Wend­land, immer lauter und stärk­er von der Poli­tik fordern, gehört zu wer­den, dass sie mitre­den und mitentschei­den wollen. Wir LINKE haben immer alle Bemühun­gen um mehr direk­te Bürg­er­beteili­gung aktiv unter­stützt und wer­den das auch weit­er­hin nach Kräften tun.

Liebe Genossin­nen und Genossen,
liebe Gäste,
Die Krise hat deut­lich gemacht, dass der Finanz­mark­tkap­i­tal­is­mus die Lebensin­ter­essen der Bürg­erin­nen und Bürg­er nicht nur in der Bun­desre­pub­lik immer mehr bedro­ht. Mit ein paar Kor­rek­turen ist es deshalb nicht getan – ein echter Poli­tik­wech­sel zu mehr Gerechtigkeit und Teil­habe ist nötig! Hier­für müssen gesellschaftliche und par­la­men­tarische Mehrheit­en gesucht wer­den. Will DIE LINKE einen solchen poli­tis­chen Wech­sel aktiv mit gestal­ten, so muss sie mit poten­tiellen Part­nern in Dia­log treten. Dabei sollen sich diese Gespräche nicht nur auf den par­la­men­tarischen Raum beschränken; auch auf Gew­erkschaften, Sozial- und Umweltver­bände und Bürg­erini­tia­tiv­en müssen wir gezielt zuge­hen und über gemein­same Pro­jek­te und Ideen ver­han­deln.

Vielerorts, in den Kreisen und Städten Sach­sens und auch im Säch­sis­chen Land­tag, arbeit­et DIE LINKE schon jet­zt bei Fra­gen von Sozial‑, Kul­tur- und Stad­ten­twick­lungspoli­tik mit SPD und Grü­nen erfol­gre­ich zusam­men, ohne dass wir unsere Posi­tio­nen aufgegeben haben. Diese Beziehun­gen zwis­chen LINKEN, SPD und Grü­nen müssen auf Respekt und Ver­trauen basieren. Daran gilt es, weit­er zu arbeit­en.

Aber neben all den notwendi­gen Bemühun­gen um poli­tis­che Part­ner, müssen wir uns auch auf unsere eige­nen Kom­pe­ten­zen besin­nen. Nur eine starke LINKE mit einem ein­deuti­gen Pro­fil kann ihre Oppo­si­tion­srolle wahrnehmen. Und: Nur eine starke LINKE mit einem erkennbarem Pro­fil erre­icht auch die Stärke, um eine Option auf Regierungsver­ant­wor­tung zu entwick­eln.
Dazu müssen wir den Men­schen eigen­ständi­ge, kreative und sehr konkrete Ange­bote unter­bre­it­en. Diese Ange­bote müssen wir so zusam­men­führen, dass in der Bevölkerung die Überzeu­gung wächst: DIE LINKE ste­ht für eine andere Art der Poli­tik.

Liebe Genossin­nen und Genossen,
und darum geht es auf unserem Parteitag. Wir wollen uns mit dem bre­it­en Feld der Energiepoli­tik beschäfti­gen und neben Kri­tik und Analyse, auch Wege beschreiben, wie sich DIE LINKE eine gerechtere und nach­haltigere Energiepoli­tik vorstellt. Die hefti­gen Auseinan­der­set­zun­gen um die Atom­poli­tik der Bun­desregierung und die jüng­sten Proteste gegen die Cas­tor­trans­porte machen deut­lich, wie bren­nend aktuell dieses The­ma ist!

Eigentlich sollte der sehr bekan­nte und mehrfach aus­geze­ich­nete Umwelt­poli­tik­er Her­mann Scheer heute zu uns sprechen. Er ist aber lei­der vor weni­gen Wochen plöt­zlich ver­stor­ben. Noch vor kurzem hat­te Her­mann Scheer einen Auftritt bei der Rosa-Lux­em­burg-Stiftung, wovon ich Euch heute einen Auss­chnitt zeigen möchte.

Bitte: …….

Mit seinem Tod ver­lor die Bun­desre­pub­lik einen der pro­fil­iertesten und bekan­ntesten Umwelt­poli­tik­er. Wie nur wenige hat sich Her­mann Scheer für die Energiewende in Deutsch­land einge­set­zt. Her­mann Scheers Ver­di­enst beste­ht darin, Ökolo­gie und Sozialpoli­tik in einem Zusam­men­hang zu sehen.

Liebe Genossin­nen und Genossen,
liebe Gäste,
wen­ngle­ich das The­ma Energiepoli­tik ein wichtiger Bere­ich ist, darf man es aber nicht sep­a­rat betra­cht­en. Für uns LINKE ist Energiepoli­tik deshalb nur ein Teil vom Ganzen. Das Ganze ist die Idee vom sozial-ökol­o­gis­chen Umbau der Gesellschaft. Dieser Umbau zu mehr Gerechtigkeit, Teil­habe, Sol­i­dar­ität und Nach­haltigkeit kön­nte mein­er Mei­n­ung nach ein Pro­jekt sein, an dem DIE LINKE, SPD und Grü­nen im Inter­esse der Men­schen in Sach­sen gemein­sam arbeit­en, ganz im Sinne von Her­mann Scheer.

Deswe­gen freue ich mich sehr, dass der energiepoli­tis­che Sprech­er der Grü­nen-Land­tags­frak­tion, Johannes Lich­di, heute ein Impul­srefer­at hal­ten wird. Ich erwarte von Dir Johannes, dass Du uns energiepoli­tisch die Leviten lesen wirst. Wir brauchen diesen rot-rot-grü­nen Diskurs, denn wenn wir uns nicht über eine gemein­same Per­spek­tive für das Mor­gen ver­ständi­gen, wer­den sich in Sach­sen weit­er die Leute von vorgestern durch­set­zen. Her­zlich willkom­men, Johannes.

Tja. Die Grü­nen. Dass sich DIE LINKE, zunächst auf dem Leipziger Stadt­parteitag vor weni­gen Tagen und nun auch hier auf dem Lan­desparteitag zen­tral mit Energiepoli­tik beschäftigt, schmeckt nicht jedem Mit­glied von B´90/Die Grü­nen. So gab es in den let­zten Tagen ein sehr bis­siges Inter­view eines Grü­nen-Poli­tik­ers in ein­er Lokalzeitung, in dem er die Beschlüsse der Leipziger LINKEN zur Energiepoli­tik sehr her­ablassend, arro­gant und eifer­süchtig kom­men­tierte. Nun ja, ich denke, Eifer­sucht ist zutief­st men­schlich und wir sind gut berat­en, uns nicht irri­tieren zu lassen. Etwas poli­tis­ches Tam Tam gehört dazu, aber wir LINKEN gehen sehr entspan­nt und über­aus friedlich damit um. Nicht wahr, liebe Leipzigerin­nen und Leipziger?

Liebe Genossin­nen und Genossen,
heute nun wird im Mit­telpunkt dieses Parteitags die Energiepoli­tik ste­hen und eine wichtige Frage ist dabei die Energiegewin­nung. Unter anderem gehört da in Sach­sen der Berg­bau dazu. Als ein Mann aus dem Erzge­birge habe ich von Haus aus eine enge kul­turelle Bindung zum Berg­bau, der seit einem hal­ben Jahrtausend das Pro­fil Sach­sens prägt – egal ob Sil­ber oder Braunkohle zutage gefördert wor­den ist oder wird. Von Flusss­pat bis Kupfer gibt es auch heute noch viele Boden­schätze unter der Ober­fläche des Freis­taates, sodass ich keinen Zweifel daran habe, dass Berg­bau auch in hun­dert Jahren hierzu­lande noch eine wichtige Rolle spie­len wird.

Ohne der Debat­te des Parteitages vor­greifen zu wollen, erlaube ich mir eine kleine Anmerkung: Der säch­sis­che Berg­bau des Jahres 2040 wird kein Fut­ter mehr für Kraftwerke liefern, son­dern mehr oder weniger auss­chließlich Stoffe für Indus­triepro­duk­tion.

Der säch­sis­che Berg­bau ist nicht nur die Wiege der Indus­tri­al­isierung gewe­sen, er ist auch die Wurzel von Kul­tur. Das führt dazu, dass man bei uns „Glück auf“ und nicht „Grüß Gott“ sagt.

Ganz generell kann man sagen: Die Rohstof­fgewin­nung zur Energieerzeu­gung ist ins­ge­samt ein Jahrhundert‑, der säch­sis­che Berg­bau aber ein Jahrtausend-The­ma.

Den­noch will ich heute nicht über Kohle, son­dern über die Kumpel nach­denken, also über die Ver­gan­gen­heit und Zukun­ft der Men­schen in Sach­sen im Zusam­men­hang mit dem Berg­bau. Ich glaube näm­lich, dass der Schlüs­sel für kün­fti­gen Erfolg link­er Poli­tik in Sach­sen im besseren Ver­ständ­nis für die Poten­ziale bergmän­nis­ch­er Tra­di­tio­nen liegt.

Liebe Genossin­nen und Genossen,
liebe Gäste,
das große The­ma der säch­sis­chen LINKEN ist die Verbindung von tech­nis­chem und sozialem Fortschritt. Im Berg­bau war die Knapp­schaft­skasse so was wie die Wiege der mod­er­nen abendländis­chen Sozialver­sicherungssys­teme. Es war eben nicht Bis­mar­ck, der den Sol­i­dargedanken in organ­isiert­er Form in die Gesellschaft dieses Lan­des brachte, son­dern es waren schon lange vorher die Men­schen, die im Berg­bau arbeit­eten. Die Knapp­schaft feiert in diesem Jahr ihr 750-jähriges Beste­hen.

Zum Grund­prinzip der Knapp­schaft­skasse gehört im Übri­gen von Anfang an, dass an ihr nicht nur alle Arbeit­er, son­dern auch die Werks­be­sitzer beteiligt sind. Das heißt, es entwick­elte sich im Berg­bau – sprich­wörtlich von unten nach oben – ein fortschrit­tlich­er Geist, der nicht mehr bere­it war, sich mit der altherge­bracht­en Hier­ar­chie von Macht und Ohn­macht in der Welt abzufind­en.

So ist es sich­er kein Zufall, dass unsere Region nicht nur als Mut­ter­land der Ref­or­ma­tion gilt, son­dern auch die Tren­nung von Kirche und Staat war hier frühzeit­ig weit vor­angeschrit­ten. Im heuti­gen Zeital­ter des wach­senden religiösen Fun­da­men­tal­is­mus kön­nte sich diese säch­sis­che Auf- und Abgek­lärtheit noch als geistiger Exportschlager erweisen.

Nun haben wir ja in diesem Land seit 20 Jahren nichts zu sagen, und daher sind wir auch nicht schuld daran, dass in dieser Zeit eine Viertelmil­lion mehr Men­schen, Sach­sen ver­lassen haben als sich Leute entsch­ieden haben, hier­her zu kom­men. Ich weiß, wovon ich rede: Mein Sohn zog mit Anfang 20 schw­eren Herzens nach Rhein­land-Pfalz, weil es in Sach­sen für ihn keine Arbeit gab.

Das so genan­nte Muster­land, unter Regie der CDU, wird eines Tages ein schulden­freies Alter­sheim sein, aber kein span­nen­der Ort, der junge Leute aus aller Welt anzieht.

Wir haben auch nicht durch Block­ade gegen Min­destlöhne dieses Land zu ein­er Hochburg des Niedriglohns gemacht, in der immer mehr Men­schen trotz Arbeit Hartz-IV-Empfän­gerIn­nen sind.

Stattdessen sitzen Leute in Sach­sens Regierung, die es nor­mal und gut find­en, dass die Kirchen auf der Grund­lage eines 207 Jahre alten Ver­trages ohne jede Bedarf­sprü­fung Zuwächse an Staat­szuschüssen in Mil­lio­nen­höhe bekom­men, von denen andere Ein­rich­tun­gen nur träu­men kön­nen. Ich sage, das ist ger­ade in Sach­sen wed­er nor­mal noch von der Bevölkerung so gewün­scht, zumal 80% der Men­schen kon­fes­sion­s­los sind.

Es sind die gle­ichen Leute, die von ein­er „über­triebe­nen Erwerb­snei­gung von Frauen“ faseln.
Leute, die stolz darauf sind, dass les­bis­che und schwule Paare immer noch von Behör­den in Sach­sen diskri­m­iniert wer­den.
Leute, die nicht wahrhaben wollen, dass sich gute Eltern nicht heirat­en müssen.
Leute, die wieder die Gren­zen zu unseren Nach­bar­län­dern dicht machen wollen.
Leute, die das Nazi-Regime und die DDR in einen Topf wer­fen.
Leute, die am lieb­sten ein Atom­kraftwerk an der Neiße bauen wür­den.
Leute, die stolz darauf sind, dass es in Sach­sen weniger demokratisch zuge­ht als in Baden-Würt­tem­berg.
Leute, die Reli­gion als kollek­tives Erziehungsin­stru­ment miss­brauchen wollen.
Und Leute, die Pro­jek­te gegen rechts ein­er Gesin­nung­sprü­fung unterziehen wollen.

Ich sage, das ist Poli­tik von vorgestern. Wir LINKEN soll­ten zum Schrittmach­er des Fortschritts wer­den, indem wir in guter alter Bergmanns-Tra­di­tion tech­nis­che UND soziale Inno­va­tion miteinan­der verknüpfen.

Liebe Genossin­nen und Genossen,
liebe Gäste,
Gele­gentlich entste­ht der Ein­druck, Linke, jet­zt nicht nur bezo­gen auf unsere Partei, son­dern alle linksori­en­tierten Men­schen in ver­schiede­nen Parteien; Linke seien heutzu­tage die Bremser, die Rück­wärts­ge­wandten, die im Zweifel gegen neue Straßen, neue Tech­nolo­gien, neue Pro­duk­tion­sstät­ten seien. Wir haben diesen Ein­druck auch dadurch mitver­schuldet, dass wir zu sehr als Beteiligte an Abwehrkämpfen und zu wenig als Mitwirk­ende an erfind­erischen Neuauf­brüchen wahrgenom­men wer­den. Das muss sich ändern!

Denn wir LINKEN sind eine Partei voller Energie, und deshalb passt das The­ma dieses Parteitags per­fekt zu uns. Es ist kein Zufall, dass er hier in Schkeu­ditz stat­tfind­et – ein Ort mit viel­seit­iger Verkehrsin­fra­struk­tur – und damit sig­nal­isiert:

• Wir igeln uns nicht ein, son­dern wir begeben uns auf die Wege, auf denen sich viele Men­schen bewe­gen.
• Wir ste­hen nicht am Rand, son­dern sind mit­ten drin in der Gesellschaft.

Anpas­sung aber ist nicht unser Ding. Die säch­sis­che LINKE ste­ht für pro­duk­tive Unruhe und für die Bele­bung erstar­rter Ver­hält­nisse.

Liebe Genossin­nen und Genossen,
liebe Gäste,
20 Jahre lang hat die CDU so getan, als sei sie Sach­sen. Ich sage euch, das ist ein großer Irrtum. Die Wahrheit ist: Sach­sen sind wir, die LINKEN.

Weil das so ist, dür­fen wir uns aber nicht vor heiklen The­men drück­en, die Land und Leute bewe­gen. Die Energiefrage gehört dazu.

Oft habe ich im Vor­feld dieses Parteitages gehört: Warum tut ihr euch das an? Bei dem The­ma macht man sich doch nur unbe­liebt.

Meine Antwort darauf ist sin­ngemäß einem Sprich­wort entlehnt, dass ich dieser Tage im Inter­net gefun­den habe:

Man soll den Men­schen nicht geben, was sie haben wollen, son­dern das, was sie sich nicht zu träu­men wagten.

Ich finde, das passt sehr schön zu den Debat­ten des heuti­gen Tages. Es geht am Ende nicht um ein biss­chen mehr oder weniger Braunkohle oder Wind­krafträder, es geht um eine neue Qual­ität von Energiepoli­tik, die es mit dem Erfind­ergeist aufnehmen kann, der für unser Sach­sen so typ­isch ist.

Wir haben uns daran gewöh­nt, nicht mehr von Rev­o­lu­tion, son­dern von Reform zu reden, wir pla­nen keinen Umsturz – auch wenn sich das noch nicht bis zu jedem Beamten des Ver­fas­sungss­chutzes herumge­sprochen hat –, son­dern wir denken in evo­lu­tionären Prozessen.

Wir soll­ten uns aber daran gewöh­nen, dass wir eine Rev­o­lu­tion zu ver­wal­ten haben, denn nach der indus­triellen Rev­o­lu­tion erleben wir zurzeit eine Rev­o­lu­tion der glob­alen Kom­mu­nika­tion.

Vielfalt ist pro­duk­tiv­er als Ein­falt, und daher ist Sach­sen in sein­er Bun­theit an Men­tal­itäten, Dialek­ten und regionalen Beson­der­heit­en als Ganzes so stark. Jeden­falls im Prinzip, wenn es nicht darauf wartet, dass alles Gute von oben kommt, son­dern das Untere nach Oben kehrt, um immer wieder eine neue, kreati­vere, inter­es­san­tere und nach­haltigere Welt zu bauen.

In diesem Sinne eröffne ich diesen Parteitag – natür­lich mit einem fröh­lichen: GLÜCK AUF!