„Ich werbe dafür, dass wir den Programmentwurf als Kompromiss zwischen unterschiedlichen Interessenlagen betrachten“
Interview mit der dapd vom 20.Oktober 2011
dapd: Vier Jahre nach der Parteigründung will sich die Linke am Wochenende ein Parteiprogramm geben. Kommt dieser Schritt ein wenig zu spät?
Gebhardt: Diesen Programmentwurf zu erarbeiten hat in der Tat ein bisschen zu lange gedauert. Das ist aber verständlich, denn wir sind 2007 aus verschiedenen Strukturen heraus mit vollkommen unterschiedlichen sozialen Milieus entstanden. Die damalige WASG war mit vielen früheren SPD-Mitgliedern und Gewerkschaftern anders aufgebaut als die Linkspartei. Genau das machte das Problem aus, ein gemeinsames Programm zu finden.
dapd: Wie beschreiben Sie denn den derzeitigen Zustand der Partei?
Gebhardt: Die Bundespartei hat in den letzten Monaten ein unglaublich schlechtes Bild abgegeben. In den Wahlkämpfen haben wir richtig schlecht geliefert und waren zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Dabei hat sich die Partei immer wieder auf Nebenschauplätzen betätigt. Denn während die Gesellschaft darüber diskutiert, ob der Kapitalismus von den Finanzmärkten aufgefressen wird, leisten wir uns Debatten über Antisemitismus, Mauerbau und den Kommunismus. Damit erreichen wir die Menschen natürlich nicht.
dapd: Dabei war die Ausgangssituation nach der erfolgreichen Bundestagswahl 2009 doch ideal.
Gebhardt: Das stimmt. Aber wir haben es danach versäumt, eine Strategiedebatte zu führen und uns auf die veränderten Bedingungen einzustellen. Die SPD hat es schnell geschafft, sich von einer Regierungs- zu einer Oppositionspartei zu wandeln. Dadurch haben sie auch Themen wie die Rente mit 67 aufgegriffen, bei denen wir fast ein Alleinstellungsmerkmal hatten. Kurzum: Die Sozialdemokraten haben auf neue Problemsituationen reagiert. Und genau das hat meine Partei nicht gemacht. Die schlechten Ergebnisse bei den Landtagswahlen dieses Jahr sind eine Konsequenz daraus.
dapd: Wie sehr ist denn das Führungspersonal dafür verantwortlich?
Gebhardt: Ich will das Problem nicht an bestimmten Personen festmachen. Durch den Rückzug von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky von der Parteispitze und die damit verbundene Suche nach neuem Führungspersonal hat sich die Partei verstärkt mit Personalfragen beschäftigt. Dabei ging es immer wieder um eine Ausgewogenheit zwischen Ost und West oder ehemaligen WASG- und PDS-Leuten. Mit dieser Konstruktion in Ruhe zu arbeiten, ist uns nicht gelungen.
dapd: Wie geschlossen ist die Partei denn überhaupt noch?
Gebhardt: Auch wenn wir im Moment eher durch Personaldebatten als durch Vorschläge zur Lösung aktueller Probleme auffallen, bin ich mir sicher: Die Linke wird sich nicht zerlegen. In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder Krach, Ärger und Streit erlebt, aber am Ende haben sich immer alle berappelt.
dapd: Welche Bedeutung hat dann der anstehende Parteitag?
Gebhardt: Dieser Parteitag ist unheimlich wichtig für die Stabilität der Partei. Darum werbe ich auch dafür, dass wir den Programmentwurf als Kompromiss zwischen unterschiedlichen Interessenlagen betrachten. Es muss jetzt Schluss sein mit den ewigen Debatten, wie wir uns den Wählern präsentieren wollen.
dapd: Aus Sachsen kommen aber 16 Seiten Änderungsanträge. Wie zufrieden sind Sie überhaupt mit dem Programmentwurf?
Gebhardt: Trotz all unserer Änderungswünsche bin ich vom Grundprinzip her zufrieden. Natürlich wünscht man sich an der ein oder anderen Stelle noch veränderte Formulierungen. Insbesondere unser Antrag, Konzepte für einen Öffentlichen Beschäftigungssektor zu erarbeiten, liegt mir sehr am Herzen. Am Ende muss jeder aber im Interesse der Gesamtpartei einen Kompromiss eingehen. Genau das werden auch die sächsischen Delegierten tun.
dapd: Was für Auswirkungen hat denn das neue Parteiprogramm auf die Koalitionsfähigkeit der Linken?
Gebhardt: Mit diesem Parteiprogramm bin ich optimistisch, dass es auch für andere Partner möglich ist, mit uns 2013 zusammenzuarbeiten. Ob das dann in der Opposition oder in Regierungsverantwortung ist, wird sich zeigen. Auf jeden Fall werden wir durch das Programm aber ein weites Stück berechenbarer – sowohl für die Wähler als auch für unsere möglichen Partner.
dapd: Und der Zusammenschluss von WASG und Linkspartei ist mit dem Parteiprogramm nun vollendet?
Gebhardt: Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Schritt für eine gemeinsame Grundlage. Allerdings würde ich meine Partei davor warnen zu sagen, dies ist jetzt der Abschluss der Zusammenführung. Stattdessen ist es nur ein weiterer Schritt in einem Prozess, der noch ein paar Jahre dauern wird.
dapd: Wie soll es denn für die Linke nach dem Parteitag weitergehen?
Gebhardt: Bis Ende des Jahres sollten wir uns noch einmal die Zeit nehmen und darüber nachdenken, mit welcher Struktur und welchem Personal wir in die Bundestagswahl 2013 gehen wollen. Außer der Quotenregelung für Frauen und Männer sollte es keine weiteren Quoten mehr geben. Es wird dabei bleiben, dass wir zwei Parteivorsitzende haben, aber Parteibildungsbeauftragte für Ost und West brauchen wir nicht mehr, und auch eine doppelte Geschäftsführung nicht.
dapd: Der neue Parteivorstand soll doch aber erst im Juni 2012 gewählt werden.
Gebhardt: Wir können es uns nicht leisten, weitere neun Monate über das Personal zu diskutieren. Wir müssen uns relativ schnell entscheiden. Deswegen plädiere ich dafür, dass wir die Personalfragen früher klären und den Bundesparteitag auf März vorverlegen.
dapd: Auf dem Oskar Lafontaine wieder eine Führungsrolle bekommt?
Gebhardt: Oskar Lafontaine war und ist für uns eine wichtige Führungspersönlichkeit. Ich gehe davon aus, dass er auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. An welcher Stelle dies dann passieren soll, muss die Partei klären.