Meine Eröffnungsrede zur Generaldebatte am 5. November zum 6. Landesparteitag in Bautzen
„Es sind die Verhältnisse, die wir ändern müssen.
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste,
das Motto unseres Landesparteitags an diesem Wochenende lautet:
„Es sind die Verhältnisse, die wir ändern müssen.“
Es geht mir dabei nicht alleine darum, als Partei die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern zu wollen, sondern auch, unsere Partei muss sich ändern. Darüber sollten wir heute und morgen diskutieren.
Ich beginne mit einer kurzen Reflexion des bereits Erreichten seit meinem Amtsantritt Ende 2009. Weiterhin will ich kurz eine Einschätzung der Ergebnisse des Erfurter Bundesparteitags und dabei der Rolle Sachsens vornehmen. Danach will ich euch meine strategischen Überlegungen vortragen, wie wir uns in den nächsten Jahren aufstellen sollten. Außerdem wird es heute den Auftakt einer breiten inhaltlichen Debatte über die Sozialpolitischen Leitlinien geben, auch dazu werde ich mich äußern.
Und schließlich haben wir auf diesem Parteitag einen neuen Landesvorstand zu wählen, unter dessen politischer Führung die Aufgaben und Herausforderungen des Leitantrags, der morgen zur Diskussion und Abstimmung steht, umzusetzen sind.
Aus Zeitgründen kann ich auf die aktuelle EU-Finanzkrise nicht eingehen, freue mich aber, dass der stellv. Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Dietmar Bartsch, dazu nach der Mittagspause zu uns sprechen wird.
Liebe Genossinnen und Genossen,
als ich 2009 für den Landesvorsitz kandidierte, hatte ich euch versprochen, dass ich stets flügel- und generationsübergreifend mit allen in der Partei auf Augenhöhe zusammenarbeiten werde, dass es mir niemals um Einzelinteressen sondern stets um die Partei als Ganzes geht und ich es für außerordentlich wichtig finde, vielfältige Einbeziehung und umfassende Beteiligungs-Möglichkeiten auf allen Ebenen der Partei sicher zu stellen. Die Bewährungsprobe folgte sogleich, denn der damalige Landesparteitag beauftragte den neugewählten Landesvorstand u.a.:
1. mit der Organisation der Programmdebatte im Landesverband
2. eine Mitglieder- und langfristige Personalentwicklung mit den örtlichen Kreis- und Stadtverbänden zu organisieren und
3. fünf inhaltliche Projekte zu entwickeln zu den politischen Schwerpunkten: „Sachsen ohne Armut“, „Bildung, Kunst und Kultur für alle“, „100.000 Arbeitsplätze für Sachsen“, „sozial-ökologisches Sachsen“ und „Plan demokratisches Sachsen“ und diese mit der Arbeit unserer Landtagsfraktion zu verzahnen
Wir machten uns damals sofort an die Arbeit, bildeten Arbeitsgruppen und fünf Projektgruppen mit jeweils Verantwortlichen aus Fraktion und Partei. Zusätzlich gründete sich im Sommer 2010 auf Initiative des Landesvorstandes das Forum Alternative Wirtschaftspolitik, das seither zu Fragen der nachhaltigen Landesentwicklung, des Verhältnisses von Land und Kommunen in Sachsen sowie zu Möglichkeiten aktiver Arbeitsmarktpolitik diskutiert und Vorschläge entwickelt.
Das Landesforum Wirtschaftspolitik hat bisher erfolgreich gezeigt, wie man Menschen unterschiedlicher Prägung so an einen Tisch bringt, dass sie wie Sahra Wagenknecht und Kurt Biedenkopf neulich in einer Talkshow gemeinsame weltanschauliche Aha-Erlebnisse haben. Davon brauchen wir zukünftig mehr, ich komme darauf noch mal zurück.
Das erste inhaltliche Ergebnis dieser Projektgruppen war der vielbeachtete Energiepolitische Landesparteitag im Herbst 2010 und die beschlossenen Energiepolitischen Eckpunkte, in denen wir uns tatsächlich zu einer Zeit mit einem Thema beschäftigten, das damals ganz Deutschland bewegte. Während die CDU unter Angela Merkel schon im Frühjahr 2011 ihre Entscheidungen vom Herbst 2010 zur Energiepolitik wegen anstehender Wahlen und der Katastrophe in Japan ruckartig änderte, hatten wir bisher keine Veranlassung unsere Überlegungen über Bord zu werfen. Nein, sie haben sich vielmehr als richtig und zukunftsweisend herausgestellt.
Weiterhin entstanden unter Regie des Landesvorstandes die, inzwischen in die Diskussion eingebrachten „Kulturpolitischen Leitlinien“ für Sachsen sowie die euch heute vorliegenden „Sozialpolitischen Leitlinien “, zu denen wir heute noch zentral beraten werden. Und in einigen Monaten werden wir außerdem auch die Ergebnisse der Projektgruppe „Bildung, Kunst und Kultur für alle“ präsentieren. Ende des Jahres wird es zu diesem Themenbereich eine große Bildungskonferenz der Landtagsfraktion geben.
Diese Projektgruppen sollten über den unmittelbaren Anlass hinaus für Mitglieder wie SympathisantInnen konkrete Beteiligungsmöglichkeiten bieten sowie die inhaltliche Diskussion im Landesverband befördern. Deshalb werbe ich dafür, die dort erarbeiteten konzeptionellen Ansätze noch mehr zu Diskussionsthemen im Parteileben zu machen, um so unser inhaltliches Profil zu schärfen und um in den nächsten 2 Jahren ein umfassendes und integriertes „Landesentwicklungs- und Wirtschaftskonzept“ vorlegen zu können.
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich glaube, nach dem Landesparteitag im November 2009 ist uns in Sachsen ein richtig guter Neustart gelungen. Ich will zwar nicht gleich behaupten, wir hätten uns neu erfunden. Jedoch kann man leicht feststellen, dass es uns gelungen ist, über gemeinsame Projekte eine gemeinsame Identität für den Landesverband neu zu erzeugen. Nicht mehr das Trennende, sondern das Verbindende stand und steht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Mit viel und intensiver Kommunikation innerhalb des Landesverbandes haben wir es geschafft, dass wir heute zu den stabilsten Landesverbänden innerhalb der Bundespartei zählen. Wir haben sogar erreicht, dass die Sachsen in Berlin wieder ernst genommen werden. Man schaut auf uns!
Auch wenn wir in Sächsischen Umfragen derzeit zwischen 17 und 20 % liegen, während sich gleichzeitig bei bundesweiten Umfragen der Wählerzuspruch für DIE LINKE fast halbiert hat, können wir in Sachsen damit auf keinen Fall zufrieden sein, weil vom einwohnerstärksten Land im Osten hängt entscheidend ab, wie stark wir als LINKE im nächsten Bundestag vertreten sind. Das heißt, die Bundespartei braucht auch den Rückenwind aus Sachsen.
Ein enorm wichtiger Prozess in der Arbeit des vergangenen Landesvorstandes war die Programmdebatte. Mit der äußerst breit angelegten Organisation dieser Debatte in ganz Sachsen hat der Landesvorstand über anderthalb Jahre intensiv und konzentriert daran gearbeitet, in zahlreichen Debatten und Konferenzen mit der Parteibasis Sächsische Änderungsanträge für das Programm zu entwickeln.
Von Beginn an, also seit März 2010, mischten wir uns sehr aktiv in die Programmdebatte ein. Ich möchte hier vor allem positiv hervorheben, dass diese Einmischung nicht etwa nur die des Landesvorstandes oder des Landesrates waren, sondern bereits zum ersten Entwurf sehr viele BOs ihre Meinungen schriftlich einbrachten. Von vornherein haben wir in Sachsen der Programmdebatte deshalb größte Aufmerksamkeit gewidmet. Die vom Landesvorstand mit der Organisation beauftragte Grundsatzkommission erfüllte hier ihre Aufgabe wirklich sehr gut. Vielen Dank. Liebe Genossinnen und Genossen!
Über anderthalb Jahre hinweg fanden Hunderte von Veranstaltungen auf allen Ebenen, also in den Ortsverbänden, den Kreisverbänden, als Regionalveranstaltungen und auf Landesebene statt. Auf diesen wurde sehr freimütig Zustimmendes und Ablehnendes erörtert, es entstanden Impulse, Ideen und am Ende auch Anträge.
Die entscheidende politische Erfahrung in diesem Prozess war, dass wir praktisch bewiesen haben, dass auch bei einer doch sehr umfänglichen und komplexen Aufgabe Beteiligung funktioniert. Meiner Meinung nach, hat DIE LINKE. Sachsen somit schließlich zum Erfolg des Erfurter Parteitages ganz wesentlich beigetragen.
Auf zwei für uns LINKE. Sachsen besonders erfreuliche Ergebnisse der Programmdebatte möchte ich hinweisen: Im Parteitagsbeschluss von Erfurt wurden die Ziele einer solidarischen Mindestrente und einer Kindergrundsicherung aufgenommen — auf Initiative Sachsens!
Auch wenn beide Forderungen in den meisten Ohren hier im Saal fast selbstverständlich klingen mögen: dahinter steckten oft sehr hart geführte innerparteiliche Auseinandersetzungen.
Ich will das kurz am Beispiel der solidarischen Mindestrente näher erläutern:
Man kann beispielsweise Rentengerechtigkeit vom Standpunkt des von Altersarmut bedrohten Rentners sehen, der vielleicht in den letzten zwei Jahrzehnten vom Arbeitsleben ausgeschlossen war oder nur niedrigsten Lohn verdienen konnte. Dann ist es gerecht und links, zu sagen: „Nein, dieser Mensch darf nicht auch noch im Alter bestraft werden für die Umstände, unter denen er leben musstet!“
Ein ebenso linker Blickwinkel ist jedoch auch unter dem Aspekt der systemischen Rentengerechtigkeit zu finden, nämlich in der Frage, wer denn für die Rente zahlt, wer dafür aufkommt. Und da ist es eine berechtigte linke Kritik, wenn wir sagen, Unternehmen und Vermögende sollen nicht entlastet werden.
Was aber in innerparteilichen Auseinandersetzungen nicht geht — und das müssen wir uns wirklich ins Stammbuch schreiben — was also gar nicht geht, ist in diesem Prozess die jeweils andere Position zu diffamieren und quasi außerhalb des Konsenses unserer Partei zu stellen. Wenn wir in einer solchen, sachlich und fachlich wichtigen Debatte dazu kommen, andersdenkende Genossinnen und Genossen als „neoliberal“ zu kennzeichnen, dann ist das eine Grenzüberschreitung die wir nicht mehr dulden dürfen.
Das wäre nämlich der Weg der Spaltung, der Weg hin zu einer Splittergruppe, deren gesellschaftliche Wirkung gen Null gehen würde! Wir müssen akzeptieren, dass „links“ immer etwas mehr ist, als die jeweilige GenossIn, der jeweilige Orts‑, Kreis- oder Landesverband sich eben vorstellen kann. Ansonsten hätten wir den Weg der Gründung der LINKEN gar nicht erst beschreiten sollen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
an einer, für unsere sächsische Positionierung wichtigen Stelle führten die Auseinandersetzungen zu einer schwierigen Situation. Ich meine hier das Thema „Öffentlicher Beschäftigungssektor“. Klar, wir Sachsen wollten eigentlich mehr, als letztlich in Erfurt beschlossen wurde. Aber immerhin ist dieses Thema nun mit deutlich positivem Bezug weiterhin im Programm enthalten — das war einer der berühmten „großen Kompromisse“. Das finde ich richtig und gut.
Was aber werden denn nun die Genossinnen und Genossen aus einem großen westlichen Landesverband denken, die vorher in ihrem Antrag formulierten, dass der Öffentliche Beschäftigungssektor ein Ansatz aus der neoliberalen HartzIV-Logik ist? Ein Ansatz, der also ganz und gar getilgt werden müsse aus dem Programm. In letzter Konsequenz müssten nun diese Antragsteller glauben, dass unser Erfurter Programm schlimme „neoliberale, der HartzIV-Logik folgende“ Elemente enthält. Ich hoffe — ganz ehrlich — dass sie es nicht tun.
Und ich möchte, dass wir als Partei stolz auf jeden der über 5.000 Arbeitsplätze im Öffentlichen Beschäftigungssektor sind, die in der Berliner rot-roten Landesregierung geschaffen wurden und die nun von der neuen Koalition in Berlin wieder in die Arbeitslosigkeit geschickt werden sollen.
Diese, etwas längere Ausführung hat einen tieferen Grund, der unsere innerparteiliche Kultur betrifft und damit die Voraussetzung, auf der wir unsere linke Verschiedenheit zur politischen Gemeinsamkeit wachsen lassen können und müssen. Sicher scheint es manchmal nützlich, auch innerparteilich schwerere Kaliber aufzufahren. So richtig vom Leder zu ziehen, lässt manchmal doch etwas mehr an Applaus und Zustimmung entstehen, als eine nachdenkliche Analyse. Der Schaden, den man damit innerparteilich anrichten kann und oft dann auch anrichtet, überwiegt jedoch den individuellen Nutzen fast immer!
Wir LINKEN sind bei weitem nicht stark genug dafür, dass wir unsere Kraft auf solche innerparteilichen Auseinandersetzungen verschwenden. Ich kenne keine Genossin und keinen Genossen, auf die ich verzichten oder die ich verletzt sehen möchte oder an den Rand gedrängt. Keinen!
Ich bin froh, dass wir im Rückblick auf die vergangenen zwei Jahre sagen können:
Wir haben uns nicht „auf die faule Haut gelegt“.
Wir haben hart gearbeitet, an unseren politischen Inhalten sowie an unseren Methoden und Strukturen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
neben der guten konzeptionellen und organisatorischen Arbeit des Landesvorstandes in den letzten 2 Jahren, möchte ich aber noch darauf hinweisen, dass wir die strategische Debatte bislang vernachlässigt bzw. sie sogar gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser.
Wenn es unser gemeinsames Ziel ist, die politischen Verhältnisse im Land zu ändern, wir aber wissen, dass wir als LINKE allein dazu nicht die politische Kraft haben, heißt das, dass wir Partnerinnen und Partner und vor allem eine Strategie brauchen.
Eine gute Strategie verschafft uns Orientierung in der oftmals unübersichtlichen Tagespolitik und bietet Leitlinien für unser politisches Handeln. Mehr noch, was wir brauchen, ist ein strategisches Handlungskonzept, das die Art der politischen Problemlösung, das Konkurrenzverhalten der Parteien und wie wir öffentlich kommunizieren, mit einander vereint.
Dabei muss man mit einem Missverständnis aufräumen:
Strategie bedeutet nicht die einseitige Orientierung auf Macht, sondern es geht um den Zielbezug.
Ich habe ab und zu das Gefühl, dass viele glauben, es gäbe ein einfaches Rezeptbuch, in dem wir nachschlagen könnten um für uns die richtige Lösung zu finden. Nein, das gibt es nicht.
Unsere politische Strategie muss vor allem sichtbar sein, nur so schafft man die Voraussetzung für notwendige strategische Diskurse. Die brauchen wir nicht nur für die innerparteiliche Demokratie, sondern auch um der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, unsere Strategie zu verstehen.
Wenn wir denn als LINKE in Sachsen künftig über unsere strategische Aufstellung diskutieren – und damit also vor allem darüber,
• wie wir erfolgreich und mit wachsender Anerkennung in Sachsen wirken wollen,
• wie unsere Sicht auf die Gesellschaft ist,
• was für ein Menschenbild wir haben,
• wie wir unsere Themen auf die öffentliche Tagesordnung heben wollen,
• wie wir gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen,
dann tun wir das öffentlich und nicht in Hinterzimmern.
Strategie ist nicht die Hülle sondern der Weg.
Liebe Genossinnen und Genossen,
Im Leitantrag gibt es die Formulierung „Für eine radikal linke Realpolitik“. Radikal kommt aus dem Lateinischen und heißt „Wurzel“; Wer radikal ist, geht also bei der Lösung eines Problems an dessen Wurzel. Nun ist aber Latein außerhalb der katholischen Kirche keine Amtssprache mehr, und auf Deutsch ist das mit der Radikalität eine heikle Sache, was wir bei der Arbeit am Leitantrag dann auch zu spüren bekamen.
Zunächst hieß es: „Für eine radikale Realpolitik“. Das klingt super, aber zu sehr nach Anerkennung der Macht des Faktischen. Wir sind doch LINKE, also folgte Formulierung Nummer zwo: „Für eine linke radikale Realpolitik“. Dabei scheint das Linke aber nur ein Anhängsel des radikalen Realen zu sein, deshalb rückte es später in die Mitte: „Für eine radikale linke Realpolitik“. Mit dieser dritten Variante drohten neue Missverständnisse – schließlich leben wir in einem Land, in dem es den sogenannten Radikalenerlasses von 1972 gab, mit dem vermeintliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst gedrängt werden sollten. Der Weisheit der Redaktionsgruppe fiel deshalb ein „e“ zum Opfer, und fortan heißt es im Leitantrag „Für eine
radikal linke Realpolitik“.
Es wäre schön, liebe Genossinnen und Genossen, wenn ihr das morgen so beschließen würdet – denn noch schlauer kann man es nicht sagen!
Unter anderem mit dieser Botschaft, verknüpfe ich das Ziel, für die Durchsetzung unserer politischen Konzepte und Ideen, am Ende auch die Übernahme von mehr Verantwortung als bisher, also der Eintritt in eine Sächsische Regierung. Und dann muss man als Partei auch vorbereitet sein.
Dafür brauchen wir, ganz kurz gesagt:
• gute Politikangebote
• gutes Personal
• gute, klare Botschaften
• und gute Partnerinnen und Partner
Um das zu erreichen, liegt noch ein Berg Arbeit vor uns.
Denn .…
• Noch wird uns bei manchen Themen eine nicht ausreichende Lösungskompetenz zugeschrieben.
• Noch sind unsere möglichen Partnerinnen und Partner zu unentschlossen bzw. selbst zahlenmäßig nicht stark genug.
• Noch sind wir nicht ausreichend verankert in der heutigen Gesellschaft.
• Noch fehlt uns für einige Themen glaubwürdiges Personal.
• Noch sind wir bei etlichen Themen nicht authentisch genug.
Jedoch, kann ich die politische Konkurrenz beruhigen: Da wir diese Aufgaben kennen, werden wir sie auch lösen!
Ob uns LINKEN die derzeitige Finanzkrise und die aktuellen Debatten darüber, ob uns die Finanzmärkte noch ruinieren werden, nun zu neuen Höhen in den Umfragen verhilft, ganz nach dem Motto: „Jetzt hat’s der Letzte begriffen, dass wir immer schon recht gehabt haben“ wage ich dennoch zu bezweifeln.
Mit Stimmen für Parteien ist das ja wie mit Aktienkursen: Man wird nicht gewählt, weil man bisher so kluge Dinge getan oder gesagt hat, sondern weil die Wählerinnen und Wähler glauben: In dieser Partei steckt etwas, was Zukunft hat, was jetzt gebraucht wird. Und ob die Leute das glauben, das hat natürlich was mit der Glaubwürdigkeit einer Partei zu tun. Und die ist eben von dem abhängig, was Menschen dieser Partei zuvor gesagt und getan haben.
Oder anders ausgedrückt:
Für uns in Sachsen heißt das, wir müssen unsere Glaubwürdigkeit erhöhen indem wir unsere Lösungsvorschläge stärker in den Mittelpunkt unserer politischen Kommunikation rücken. Die klare Botschaft an unsere Wählerinnen und Wähler muss lauten: Wir kritisieren die ungerechten Verhältnisse, sagen aber auch, was und wie wir es besser machen wollen.
Dazu gehört
Mut,
Konsequenz und
ein langer Atem.
Für einen tief greifenden Politikwechsel in Sachsen, der natürlich mehr ist, als der Austausch eines Koalitionspartners unter Fortführung derselben Politik in anderen Farben, sind deswegen aus meiner Sicht mittelfristig folgende strategische Ziele zu beschreiben:
1. LINKE, SPD und Grüne sind in der Opposition trotz programmatischer und kultureller Unterschiede gemeinsam handlungsfähig. Die Parteien und Fraktionen beweisen damit ihre grundsätzliche Fähigkeit zum gemeinsamen Regieren in Sachsen.
2. Die Fähigkeit zum Dialog auf Augenhöhe ist für die Spitzen von Partei und Fraktion eine unbedingte Voraussetzung.
3. Politische Gemeinsamkeiten aber auch Differenzen werden in einer streitbaren öffentlichen Diskussion über eine mögliche rot-rot-grüne Reformalternative nachvollziehbar und verständlich, so wie wir das beim letzten Landesparteitag mit der Rede von Johannes Lichdi begonnen haben.
4. Wir stellen klar: DIE LINKE strebt keine Weltanschauungsgemeinschaft mit anderen Parteien an, sondern ein pragmatisches, zeitlich begrenztes Handlungsbündnis zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele in Sachsen.
Liebe Genossinnen und Genossen,
Lasst uns diese strategische Debatte jetzt führen, weil sie ist wichtig und notwendig für unser Agieren in den nächsten Jahren. Die politischen Akzente, die wir setzen wollen, ergeben sich aus unserem grundsätzlichen Eintreten für eine sozial gerechtere, demokratische und friedliche Welt. Aber wir müssen uns künftig thematisch breiter aufstellen, dazu hatte ich mich im Frühjahr öffentlich geäußert und der eine oder die andere hat mich dafür kritisiert.
Ich will heute noch einmal klar stellen: Wenn ich sage, wir müssen uns thematisch breiter aufstellen, dann meine ich nicht, dass wir die Soziale Frage aus dem Zentrum unserer Politik entlassen. Nein, wir müssen alle politischen Themen immer mit dem Sozialen in Verbindung setzen, dies unterscheidet uns nämlich von allen anderen Parteien.
Liebe Genossinnen und Genossen,
zwei Begriffe, die in Sachsen besondere Bedeutung genießen, sind Kultur und Identität. Wir Sachsen sind stolz auf unser Sachsen. Das ist nun mal so, ob es dem Einzelnen gefällt oder nicht. Wir müssen lernen damit umzugehen. Eine übergroße Mehrheit in Sachsen lebt gerne hier, sie ist stolz auf ihr Land und dessen kulturelle Vielfalt. Wir sollten dies nicht klein reden oder gar ignorieren.
Wir LINKEN müssen dieses „Wir-Gefühl“ bzw. diese sächsische Identität strategisch aufnehmen und in ein politisches Angebot übersetzen: Das heißt wir müssen Identität und Kultur vor allem als Kommunikation verstehen. Wir müssen den Sachsen beweisen, dass es für uns keinen Widerspruch gibt zwischen dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit und der tief empfundenen Heimatliebe der Sachsen.
Wir könnten die Partei in Sachsen sein, die diesem Land die notwendige Modernität und das Weltoffene gibt und die aber eins klar macht:
• Die Kunst in diesem Land, hat nicht der König geschaffen, sondern die Handwerkerin und der Handwerker.
• Das Meißner Porzellan konnte deswegen hergestellt werden, weil es die Arbeiter im Erzgebirge waren, die unter erbärmlichsten Bedingungen das Auer Kaolin aus der Erde kratzten und dabei ihre Gesundheit und oft genug ihr Leben riskierten.
• Es ist auch nicht die heutige Landesregierung, die dafür sorgt, dass dieses Kulturerbe allen zugänglich ist, sondern es war die Aneignung durch das Volk. Und letztendlich bezahlte zu allen Zeiten immer der Steuerzahler auch die Präsentation der Kunstschätze.
DIE LINKE, die sich vor allem als eine kulturelle Linke verstehen sollte, muss hierbei deutlich machen, dass sie sich immer auf ein weit größeres Gesellschaftsprojekt einlassen wird, als allein auf eine bessere Umverteilung des Reichtums, wie es die Sozialdemokratie macht.
Ja, wir wollen eine Politik der Umverteilung – also der soziale Aspekt – aber eben auch eine Politik der Anerkennung vielfältiger Lebensweisen und kultureller Identitäten.
Liebe Genossinnen und Genossen,
ein für uns LINKE enorm wichtiges Thema sowie Teil unserer politischen Identität ist die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem Rechtsextremismus. Das ist kein Engagement einer einzelnen politischen Gruppierung sondern weite Teile der Zivilgesellschaft stellen sich gegen Nazis. Wir stehen da in einer Reihe mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, Künstlerinnen und Künstlern, anderen politischen Parteien unter anderem SPD und Bündnis90/Grüne und sogar mit den Kirchen.
Und selbst in den Reihen der Sächsischen CDU gibt es seit ein paar Wochen Bewegung. Ein führender Dresdner Landtagsabgeordneter warb kürzlich für eine differenziertere Haltung seiner eigenen Partei im Umgang mit Aufmärschen von Neonazis, im Besonderen in Dresden, um den 13. Februar. Das heißt, gerade jüngere CDU-Landtagsabgeordnete suchen beim Protest gegen die Nazis den Dialog mit anderen demokratischen Kräften, ausdrücklich auch mit uns. Wir werden das beobachten und wenn das Angebot ernst gemeint ist – ich habe momentan keinen Grund zu zweifeln — dann müssen wir diesen Dialog führen.
Weil, Faschismus ist allein mit Links – wie uns die Geschichte lehrt – nicht zu bekämpfen.
Und doch, wie ihr es verfolgt habt, gibt es im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Dresdner Naziaufmärsche polizeiliche und juristische Verfolgung gegen linke Demonstranten. Während Polizeirazzien und Hausdurchsuchungen in Dresden inzwischen höchstrichterlich als illegal eingestuft wurden, laufen weiterhin staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen einige linke prominente und gegen Hunderte nicht-prominente Demonstrantinnen und Demonstranten.
Dabei wird die politische Motivation dieser Strafverfolgung immer offensichtlicher, denn sogar die Immunität von frei gewählten Abgeordneten wurde inzwischen aufgehoben, um sie dafür zu bestrafen weil sie als Fraktionsvorsitzende, als angebliche Rädelsführer, einen Naziaufmarsch in Dresden durch Gegendemonstrationen verhindert hätten.
Wir LINKEN Sachsen erklären uns deshalb hier und heute solidarisch mit
Janine Wissler,
André Hahn,
Willi van Ooyen
Bodo Ramelow,
und mit den vielen hundert Anderen,
die friedlich in Dresden 2010 und 2011 protestierten und denen jetzt der Prozess gemacht werden soll.…..
Liebe Genossinnen und Genossen,
woran es in Sachsen wirklich mangelt, ist Dialog. Also Zuhören, Respektieren, Artikulieren und Erkenntnis. Dafür braucht es genügend Platz und Vertrauen. Wir LINKEN wollen einen Dialog für Sachsen. Wie man so was konkret macht, konnte man beim Landesforum Wirtschaftspolitik sehr schön lernen, da sind mit Prof. Thomas Lenk, von der Universität Leipzig und Prof. Marcel Thum, vom Ifo-Institut Dresden in diesem Jahr schon Menschen mit uns in den Dialog getreten, so, wie ich es mir viel öfters wünschte.
Es wird ja manchmal mit Recht viel darüber diskutiert, ob all die wunderbaren Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung und direkten Demokratie, für die wir als LINKE so vehement eintreten, am Ende nur die Spaltung der Gesellschaft vertiefen: Diejenigen, die heute schon regen Anteil am politischen Leben haben, mischen künftigen noch mehr mit, und diejenigen, die jetzt bereits abseits stehen, geraten noch mehr ins Aus.
Aber mit Dialog könnte man diese Hürden überwinden. Es geht nicht ohne. Deshalb ist für uns der Dialog für Sachsen der Weg in eine bessere Zukunft.
Die schwarz-gelbe Staatsregierung aber kennt keinen Dialog.
Wohl kein sächsisches Regierungskabinett seit 1990 hat so rein technokratisch agiert wie die derzeit amtierende Ministerrunde unter Stanislaw Tillich.
Jüngstes Beispiel ist das so genannte Standortegesetz, ein beispielloser Behördenumzugszirkus, dessen einzige schon jetzt beweisbare Effekte zunehmende Bürgerferne und Belastung für die Betroffenen sind.
Schon frühzeitig erklärte der Wirtschaftsminister der FDP, Sven Morlok, vor Personalräten, dass sich an den Ergebnissen des Regierungsentwurfs eh nichts mehr ändern wird, egal was noch an Kritik kommen wird.
Das heisst, die FDP steht für das Gegenteil von Dialog. Die Sachsen haben inzwischen die Schlussfolgerung gezogen, dass in der FDP somit keine Zukunft steckt, weshalb die Partei in Sachsen bei aktuellen Umfragen nur noch zwei Prozent erreicht. Und das soll auch so bleiben!
Als Sprecher für Innenpolitik in unserer Landtagsfraktion habe ich schon im März einen Blog zur sogenannten „Staatsmodernisierung“ angelegt, der sich seither reger Beteiligung durch Diskussionsbeiträge erfreut, mit Leuten, die mit unserer Partei bisher nichts zu tun hatten. Und natürlich sind wir vor Ort bei Veranstaltungen zu Behördenschließungen bzw. –verlagerungen präsent. Wir sind aber nicht nur in der Breite der Kommunikation, sondern auch mental besser aufgestellt als das sächsische CDU/FDP-Kabinett: Glaubt man dort, nur die Probleme lösen zu müssen, die man selber hat – etwa durch Vorgaben des Finanzministers –, sind unser Ausgangspunkt die Probleme, die die Bürgerinnen und Bürger selbst als ihre Probleme definiert haben, bei denen sie ein Handeln der Politik erwarten.
Welche Wege zum Thema Bürgernähe die derzeitige Regierung in Sachsen für sinnvoll erachtet, sieht man an den Aktionen des FDP-Wirtschaftsministers. Dieser lauert Pendlern an Autobahnraststätten auf, schenkt ihnen Eierschecke oder kostenlose Toilettenbesuche und versucht sie zu überreden, sie mögen doch endlich wieder zurück nach Sachsen kommen.
Herr Morlock, nicht Eierschecke bewegt die Menschen in Sachsen zu bleiben, sondern gut bezahlte Arbeit! Und dafür wäre ein Mindestlohn eine richtige und gute Voraussetzung.
Die Menschen wollen, dass ihnen zugehört wird, sie respektiert und ihre Argumente gehört und verstanden werden.
Kurz: Die Menschen wollen einen Dialog für Sachsen.
Und genau dafür steht DIE LINKE.
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich will noch auf die euch vorliegenden Sozialpolitischen Leitlinien zu sprechen kommen.
Nachdem sich Dietmar Pellmann, in bekannt brummiger Art, nach dem Landesparteitag zur Energiepolitik darüber äußerte, dass es jetzt aber mal wieder Zeit wäre, auf einem Landesparteitag über Sozialpolitik zu reden und er das mindestens noch zweimal wiederholte, sagte ich zu ihm: Okay, machen wir, aber unter einer Voraussetzung: Du schreibst ein Papier gemeinsam mit Katja Kipping! Dietmar brummte etwas, das ich als JA auffasste und nun musste ich noch Katja überzeugen – was gar nicht so schwer war wie ich dachte.
So setzten sich beide gemeinsam an einen Tisch und machten ein Fahrplan. Und dann schrieb Dietmar und dann schrieb Katja. Dann führten sie Debatten. Und mit einigen Anderen, die sich auch mit guten Vorschlägen einbrachten, entstand das, was euch heute vorliegt.
Ihr könnt es mir glauben: Es war mir wirklich ein Herzenswunsch, dass sich zu diesem Thema Katja und Dietmar gemeinsam an einen Tisch setzen. Beide gelten als exzellente Sozialpolitiker unserer Partei. Zwei, wie sie nicht unterschiedlicher sein könnten. Aber zwei, die sich was trauten.
Ich kann euch heute berichten, dass diese Zusammenarbeit aus meiner Sicht hervorragend gelungen ist und dafür möchte ich mich bei beiden hier und heute auch noch mal bedanken.
Denn ganz ehrlich, es ist nicht immer ganz einfach, dass man sich über Generationen und über verschiedene politische Ansätze und Erfahrungen hinweg an einen Tisch setzt, um gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten. Das ist nun hier beispielhaft gelungen und es bedurfte noch nicht mal einer Moderation!
Ich zitiere aus den Leitlinien:
„Eine am demokratischen Sozialstaat orientierte Sozialpolitik versteht sich als Gesellschaft gestaltender und verschiedene gesellschaftliche Bereiche übergreifender Politikansatz.“
Zitat Ende.
Die sozialpolitischen Leitlinien beschränken sich somit nicht allein darauf, wie die Benachteiligten unserer Gesellschaft alimentiert werden – wie uns LINKEN ja oft vorgeworfen wird. Nein, dieses Papier hat ausdrücklich einen generellen Ansatz der die Soziale Frage als Ganzes betrachtet.
Da Katja nur noch Stunden vor der Geburt ihres ersten Kindes steht, wird an ihrer Stelle, vertretungsweise, Annekatrin Klepsch gemeinsam mit Dietmar die Sozialpolitischen Leitlinien heute auf unserem Parteitag einbringen. Und ich freue mich außerordentlich, dass mit Iris Kloppich, der Sächsischen DGB-Vorsitzenden eine ausgewiesene Expertin unsere Sozialpolitischen Leitlinien aus Sicht der Gewerkschaften bewerten wird. Iris, ich bin gespannt auf Deine Anregungen und Kritiken.
Liebe Genossinnen und Genossen,
Für eine radikal linke Realpolitik – ich sagte es schon, so heißt es im Leitantrag. Radikal und links. Das wurde uns oft negativ ausgelegt. Dieser Tage aber werden wir ständig überholt, ohne dass uns jemand einholte: Demokratischen Sozialismus will ja angeblich niemand, aber nachdem bereits in der letzten großen Finanzkrise mit der Hypo Real Estate mal eben ein großes, aber leider völlig marodes Geldunternehmen verstaatlicht wurde, geht es nun im Zuge der Euro-Rettungsschirme verschärft radikal weiter.
Den Zustand der herrschenden Politik, wohlgemerkt nicht der LINKEN, sondern der bürgerlich-konservativen, untersuchte dieser Tage ein Leitartikel im „Handelsblatt“.
Er eröffnet mit dem Lenin-Zitat
„Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss man ihr Geldwesen verwüsten“
und stellt dann fest:
„Unsere Politiker sind auf dem besten Wege, Lenins Kampfauftrag zu erfüllen.“
Und weiter unten kommt man in dem Artikel zu dem Fazit:
„Der Tag rückt näher, an dem zusammenfällt, was zusammenfallen muss.“
Ende des Zitats und Beginn unserer Ernüchterung:
Vor dieser Radikalität scheint unsere radikal linke Realpolitik zu verblassen.
Weil wir heute wissen, dass es damit nicht getan sein wird, wollen wir die Verhältnisse verändern- als Schutzschirm für die Menschen!
Vielen Dank fürs zuhören!