Die LINKEN und die PIRATEN in SACHSEN
Zwischen Partnerschaft bei Partizipations-Projekten und Gegnerschaft bei der Perspektive Politikwechsel
Ein Diskussionspapier aus mehr oder minder aktuellem Anlass mit Blick auf 2014
Seit der Europawahl 2009 und Achtungserfolgen der „Piraten“ in Sachsen – z. B. einem zweistelligen Stimmenergebnis im Dresdner Hechtviertel – war abzusehen, dass von dieser Partei eine Veränderung der politischen Landschaft ausgehen kann. Als LINKE betrachten wir das Aufkommen einer ernst zu nehmenden neuen demokratischen Partei als Belebung des politischen Wettbewerbs. Davor fürchten wir uns nicht, wir sehen dies als Herausforderung, die uns bei der Schärfung des eigenen Profils inspiriert.
Wir haben zwar durch den Verlust einer Kreisrätin an die „Piraten“ ungewollt dafür „gesorgt“, dass sie damit die erste Mandatsträgerin überhaupt im Freistaat Sachsen haben. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach allen demoskopischen Daten der letzten Monate und Jahre auf Landes- und Bundesebene die „Piraten“ ihre Zustimmungsgewinne sehr viel mehr auf Kosten der GRÜNEN erzielen als zu Lasten der LINKEN. Unser Problem mit den „Piraten“ besteht daher weniger in der unmittelbaren Konkurrenz als vielmehr in der Minderung der Chancen für einen Politikwechsel in Sachsen in der von uns favorisierten Weise.
Bitte keine billige Polemik gegen die „Piraten“!
Um es vorweg zu sagen: Ich halte nichts davon, den „Piraten“ unausgegorene Programmatik oder vermeintlich schräge Typen vorzuhalten, die sich bei ihnen tummeln. Mit solchen Phänomenen haben alle Parteien, insbesondere neu entstandene, mehr oder minder intensiv zu tun. Es geht mir auch nicht darum, den Stab über eine noch mitten in der Selbstfindungsphase steckende Organisation zu brechen und sie wahlweise der Frauenfeindlichkeit, neoliberaler oder gar noch schlimmerer Umtriebe zu bezichtigen.
Dass Äußerungen von Persönlichkeiten dieser Partei mal freundliches Erstaunen, mal nacktes Entsetzen auslösen, zeigt vor allem, dass der strukturierende politische Impuls dieser neuen politischen Bewegung bisher ausgeblieben ist und stattdessen alle ihre Elemente bisher im unsortierten Chaos dicht beieinander liegen. Das aber ist, wie gesagt, keine moralische Bewertung, sondern nüchterne Zustandsbeschreibung. Diese Wahrnehmung hat allerdings sehr wohl Auswirkungen auf die Landespolitik.
Was wir strategisch für Sachsen wollen
Es gibt im Jahr 2014 nach dann einem knappen Vierteljahrhundert CDU-Dauerherrschaft in Sachsen gute Argumente dafür, dass die CDU der nächsten Staatsregierung nicht mehr angehören sollte. Wir stehen ja eben gerade nicht für ein „Weiter so“, sondern für den sozial-ökologischen Umbau. Mit fast drei Dutzend gemeinsamen parlamentarischen Initiativen seit Beginn dieser Legislaturperiode haben die demokratischen Oppositionsfraktionen unter Beweis gestellt, dass wir nicht nur zusammen „Nein“ zu schwarzer bzw. schwarz-gelber Regierungspolitik sagen. Sondern wir sind fähig zu einer gemeinsamen Gestaltung des Landes, die
- bürgerschaftliches Engagement anerkennt und nicht kriminalisiert,
— solide Haushaltspolitik mit Bildungschancen und sozialer Sicherheit für alle verbindet,
— statt PR-Aktionen ernsthafte mittelstandsorientierte Wirtschaftsförderung betreibt,
— bisherige Niedriglohnpolitik durch konsequentes Eintreten für Mindestlöhne ersetzt,
— in der Energiepolitik den Erneuerbaren den Vorzug vorm Braunkohlebagger gibt,
— den Polizeiabbau stoppt und die öffentliche Sicherheit stärkt,
— das Kulturland Sachsen in allen Regionen hegt und pflegt,
— mehr direkte und digitale Demokratie ermöglicht.
Wo wir praktisch gemeinsame Sache machen sollten
Insbesondere beim Punkt „direkte und digitale Demokratie“ haben wir große Übereinstimmungen mit den „Piraten“. Nicht nur dass die PDS Sachsen bereits 2004 vor der Landtagswahl auf direkten Kontakt zwischen Wählerinnen, Wählern und unseren Kandidatinnen und Kandidaten gesetzt hat (Chat) und wir das Wahlprogramm für 2009 einer langfristigen und ausführlichen Debatte im Netz unterzogen hatten (Wiki). Wir machen uns stark für die Möglichkeit von Online-Massenpetitionen beim Sächsischen Landtag und für echte Transparenz der Verwaltung: Ging es schon Anfang der 90-er Jahre der PDS um „gläserne Rathäuser“, haben wir mittlerweile längst das „gläserne Ministerium“ ins Visier genommen. Dem dienen frühere und aktuelle Gesetzentwürfe.
Zurzeit lassen wir im Netz über einen ersten Entwurf unseres „Sächsischen Verwaltungstransparenzgesetzes“ diskutieren, und bereits Anfang der letzten Wahlperiode brachten wir ein „Sächsisches Informationsfreiheitsgesetz“ ein, die CDU wetterte damals, es drohe eine „Lähmung der Verwaltung“. Heute ist – auch unter dem Druck der ersten Erfolge der „Piraten“ – Konsens zwischen den demokratischen Parteien, dass nichts so sehr das Gemeinwesen lähmt wie mangelnde Berücksichtigung der Gedanken und Anregungen der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb bleiben wir bei aller Wertschätzung der digitalen Beteiligungsformen unserem Ringen auch um mehr direkte Demokratie in der klassischen Form des Volksentscheids treu. Dass wir dabei erst unlängst gemeinsame Sache mit einem prominenten CDU-Mitglied, dem Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Patzelt, machen konnten, ist uns zusätzlicher Ansporn, das Projekt der Absenkung der Hürden für Volksbegehren und Volksentscheid in Sachsen trotz der Blockade der CDU mit Ausdauer weiter zu verfolgen.
Wie die „Piraten“ (ungewollt?) der CDU in Bund und Land helfen
Es ist nur nicht zu erwarten, dass die „Piraten“ zu einem Politikwechsel in Sachsen beitragen werden, im Gegenteil: In der sächsischen Landespolitik gilt Ähnliches wie auf Bundesebene. In den Zeitungen ist von Freude im Kanzleramt über die Umfragehöhenflüge der „Piraten“ zu lesen, Kanzlerin Merkel sehe darin eine sehr nützliche Beihilfe zu ihrer liebsten langfristigen Machtperspektive: einer großen Koalition unter Führung der CDU. Alle anderen Varianten könnten zugunsten von Frau Merkel durch die Mandate der „Piraten“ am Erreichen der absoluten Mehrheit gehindert werden. In Sachsen stellt sich das Szenario noch sehr viel schärfer dar:
Eine Mehrheit gegen die CDU ist aller Voraussicht nach nur durch ein rot-rot-grünes Dreierbündnis möglich. Koalitionen, die von drei Fraktionen getragen werden, sind in Deutschland sehr selten und gelten als schwierig, was wir gerade im Saarland erleben konnten. Wir sind dazu bereit, uns dieser Schwierigkeit im Interesse Sachsens zu stellen. Und ich bin den engagierten Menschen in den Parteien und Fraktionen der GRÜNEN, der SPD und der LINKEN dankbar, die auf fachpolitischer Ebene, aber auch bereits in Grundsatzfragen durch eine kontinuierliche, wechselseitiges Vertrauen aufbauende Kommunikation an einem soliden Fundament für eine solche Regierungsalternative im Jahr 2014 bauen.
Warum Rot-Rot-Grün gut geht, aber
Rot-Rot-Grün-Orange unmöglich ist
Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass dieses landespolitische Projekt glaubhaft zu einem handlungsfähigen rot-rot-grün-orangen Gestaltungsbündnis ausgebaut werden kann.
Erstens werden die „Piraten“ die Zeit bis 2014 brauchen, um sich überhaupt selbst minimal so selbst zu sortieren, dass sie im Wahlkampf zu allen wichtigen Themen einigermaßen aussagefähig sind. Dabei werden sie kaum Rücksicht darauf nehmen können und wollen, ob sie dabei mit gleich drei anderen Parteien in punkto praktischer Politik irgendwie kompatibel sind oder werden.
Zweitens muss man ehrlicherweise sagen: Ein Bundesland, das etwa so viele Einwohner hat wie der EU-Mitgliedsstaat Irland, wird im gerade zusammenwachsenden Europa der Regionen nur eine Rolle spielen können, wenn es über eine vernehmbare Stimme durch eine ganzheitlich und logisch agierende Regierung verfügt. Das ist – siehe Hü und Hott zur Solarförderung zwischen Morlok und Tillich – bei der amtierenden schwarz-gelben Staatsregierung schon jetzt auf Bundesebene nicht der Fall, von Europa ganz zu schweigen. Große Mehrheiten bei LINKEN, SPD und GRÜNEN sind sich über die Antworten auf die Schlüsselfragen des sozialökologischen Umbaus Sachsens im Kern einig – ein solches Einvernehmen ist mit den „Piraten“ allein schon aus den oben genannten Gründen bis 2014 nicht erreichbar.
Drittens: Eine Vierer-Koalition ist eine chronische kommunikative Überforderung, da helfen auch Multitasking, Skype-Konferenzen und alle Module der Liquid Democracy nichts. Parteien sollen Meinungen in die Gesellschaft hineintragen und diese in der öffentlichen Debatte weiter entwickeln, dabei sind auch tatsächliche oder vermeintliche Zufallseffekte verkraftbar. Regierungen aber haben – demokratisch legitimiert – Regie zu führen, dazu bedarf es eines organisatorischen Rückgrats von Verlässlichkeit. Die „Piraten“ haben selbst wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie sich auf absehbare Zeit in ein solches Gefüge nicht einzubringen beabsichtigen.
Deshalb ist es kein Wunder, dass sich Antje Hermenau im Vergleich zu vielen anderen Politikerinnen und Politikern der GRÜNEN ausnehmend freundlich über die „Piraten“ geäußert hat: Wenngleich ihrer Partei der eine oder andere Prozentpunkt an die „Piraten“ verloren zu gehen droht, wird bei einem weiteren Erstarken der „Piraten“ in Sachsen das von der Mehrheit der GRÜNEN gewünschte, aber von Frau Hermenau eher argwöhnisch beäugte rot-rot-grüne Modell unwahrscheinlicher, während es rechnerisch für Schwarz-Grün reichen könnte. Dies belegt nur einmal mehr die Richtigkeit der These, dass die „Piraten“ machtpolitisch vor allem der CDU und denen nützen, die unter der CDU regieren wollen.
Direkte und digitale Demokratie als
ein rot-rot-grünes Markenzeichen
Die große Mehrheit der Menschen in Sachsen will längeres gemeinsames Lernen aller Kinder. Sie fordern ein Eintreten der Staatsregierung für flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne. Sie erwarten eine gut organisierte Energiewende von der Braunkohle zu den erneuerbaren Energien. Sie wünschen sich einen pfleglichen Umgang mit dem Demonstrationsrecht, aber entschlossenes Auftreten gegenüber Nazis. Und sie möchten die Sicherheit haben, dass der Staat für ihre Sicherheit sorgt. In diesem Sinne hat die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in Sachsen eine ähnliche „Weltanschauung“, also ein gemeinsames Verständnis vom Blick auf die Welt, wie sie gerade ist und werden sollte. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, ist aber nur zu haben – ohne CDU.
Parallel zu allen konkreten Ansprüchen an die Repräsentantinnen und Repräsentanten der sächsischen Landespolitik gibt es auch in Sachsen ein stark gewachsenes Bedürfnis nach Mitsprache bei allen die Bürgerinnen und Bürger direkt betreffenden öffentlichen Angelegenheiten. Davon zeugen nicht nur zahlreiche Bürgerinitiativen, sondern auch die rege Beteiligung an Diskussionsforen und Plattformen, sei es online oder offline. In diesem Sinne sollte das Motto „Mehr Demokratie wagen – online und offline!“ als Parteinahme für mehr direkte und digitale Demokratie öffentlich klar wahrnehmbar zum Kernbestand der Botschaften des rot-rot-grünen Projekts für Sachsen gehören. Dabei sollten wir den gemeinsamen Wettbewerb mit den „Piraten“ nicht scheuen. Und in diesem Wettbewerb wird sich am Ende Qualität durchsetzen – die entscheidende Frage ist:
Welche Transparenz wir meinen – anders als die „Piraten“
Wie führt mehr Transparenz zu intensiverer politischer Mitbestimmung von mehr Menschen? Und gerade auch von denen, die durch die soziale Spaltung der Gesellschaft bislang an deren Rand gedrängt werden? Die Welt wird nicht automatisch dadurch besser, dass einfach möglichst viele Daten aus möglichst vielen politischen und bürokratischen Entscheidungsprozessen ins Internet geschüttet werden. Schon heute leidet eine stark wachsende Zahl von Menschen darunter, dass sie in der ihnen bereits zur Verfügung stehenden Menge an Daten bewusstseinsmäßig zu ertrinken drohen. Die sogenannten Enthüllungen von „Wikleaks“ haben gezeigt, dass am Ende wieder eine kleine Handvoll Spezialisten entscheidet – nämlich darüber, welche Fragmente der riesigen Datenmengen öffentlich wahrgenommen und gegebenenfalls skandalisiert werden.
Wer kleine Kinder, pflegebedürftige Angehörige, eine Familie, Freundeskreis, gute Nachbarschaftskontakte, ein Ehrenamt und dann vielleicht noch einen zeitaufreibenden Beruf hat, kann nicht im „Standby-Modus“ ständig online sein, um sich auf Abruf unentwegt an komplexen digitalen Abstimmungsvorgängen zu beteiligen. Sachsen ist ein traditionell technikfreundliches Land, in dem zugleich das Denken in sozialen Zusammenhängen fest verankert ist. Wir LINKE verstehen Kommunikation als Kultur. Zu dem Zweck gilt es für uns, die sozialen und kulturellen Grundlagen einer dialogfähigen, gerechten Gesellschaft zu sichern und auszubauen, in der realen wie in der virtuellen Welt. DIE LINKE Sachsen wird daher noch vor dem Sommer nach längerer Entwicklung eine neue dialogorientierte Plattform im Netz der Öffentlichkeit vorstellen.