Rede zur Jugendweihe am 19. Mai 2012
Liebe Mädchen und Jungen,
liebe Eltern, Großeltern,
Lehrerinnen und Lehrer,
es ist selten, dass ich bei einer Jugendweihe rede.
Ich freue mich an diesem wichtigen Tag mit Euch, vor allem aber darüber, dass ich hier zu Euch sprechen darf. Ich habe in meinem Leben schon viele Reden gehalten, aber eine Jugendweihe ist doch was anderes und auch was besonderes, als im Landtag oder zu Mitgliedern meiner Partei zu sprechen.
Natürlich gibt es heute Geschenke und die Familie, die Freunde sind da und feiern mit. Der Tag heute soll Euch lange im Gedächtnis bleiben!
Deswegen müsste man allerdings keine Jugendweihe haben. Geschenke gibt es auch zu Weihnachten und zum Geburtstag und zusammen sein, kann man dann auch.
Jugendweihe hat mit dem Erwachsen werden zu tun und aus diesem Grund ist heute ein wichtiger Tag in Eurem Leben, denn Ihr werdet ein Stück mehr erwachsen.
Auch wenn viele von Euch das gar nicht so empfinden werden. Aber schon allein die Tatsache, dass sich alles heute um Euch dreht, das Ihr im Mittelpunkt steht, beweist das.
Sicher fragen Sie sich, was der Tag der Jungendweihe bedeuten soll und was sich mit diesem Tag für Sie ändert.
Auf die Anrede „Sie“, die Ihnen nun zusteht, legen die meisten nach meiner Erfahrung nicht allzu viel Wert. Aber, dass wir Sie von heute an fragen müssen, ob wir Sie weiter duzen dürfen, ist ja bei weitem nicht das einzige, was sich in Ihrem Leben ändert.
Letzten Endes soll dieser Tag Ihnen sagen, dass die Kindheit hinter Ihnen liegt und das Erwachsensein beginnt. Gott sei Dank, werden Sie vielleicht sagen.
Mit dem heutigen Tag geht für Euch das Leben richtig los. Immer weniger entscheiden Ihre Eltern, immer mehr Sie selbst.
Verliebt waren Sie längst gewesen oder sind es, manche nicht zum ersten Mal. Zungenküsse braucht Ihnen niemand zu erklären, alles andere auch nicht. Über Musik wissen Sie ohnehin besser Bescheid als Ihre Eltern.
Jugendweihe hat wie schon erwähnt mit dem Erwachsen werden zu tun und damit, dass wir Älteren, wir Erwachsenen Euch helfen wollen, dass Ihr in dieser Welt Euch auch zurechtfindet.
Mancher von Euch wird sagen, ermahnt zu werden, dies oder das zu tun, werde ich ohnehin schon den ganzen Tag von meinen Eltern und Lehrerinnen und Lehrern. Allerdings solltet ihr bedenken, dass Eltern ihre Kinder ermahnen, um sie zu schützen, sie zu bewahren, weil sie wünschen, dass es ihnen einmal gut geht. Erziehen, so nennt man das, ist nicht leicht. Erziehen ist besonders schwer, weil die Eltern ihre Kinder lieben, besonders wenn sie strafen müssen.
Das mag manchen von Euch nicht so richtig einleuchten, weil Ihr den Plan, das Ziel der Erziehung nicht kennt. Weil Ihr nicht wissen könnt, wie das Leben weiter geht und was Eure Eltern vom Leben wissen.
Das mit dem Plan für die Erziehung müsst Ihr Euch wie so einen Stadtplan vorstellen, mit vielen Straßen und Wegen, wo man hineinschaut, um heraus zu finden, wie man am besten wohin kommt.
Bei den vielen Straßen sind auch Umwege und Sackgassen dabei. Das kostet Zeit, ist mühsam, man kommt auch mal zu spät.
Vor den Umwegen wollen Euch Eure Eltern bewahren.
Ganz Pfiffige von Euch werden jetzt denken:
Woher wissen die, was Umwege sind bzw. was gut für mich ist?
Die meisten Umwege und Sackgassen kennen die Eltern, weil sie genug Lebenserfahrung haben, um zu wissen, dass man zum Beispiel die Wahrheit sagen muss, dass es besser ist, Ordnung zu halten und vieles mehr.
Liebe Mädchen und Jungen,
ihr werdet für Euch selbst zukünftig mehr Verantwortung tragen und für das, was Ihr tut, auch verantwortlich sein.
Was man Kindern noch durchgehen lassen kann, weil sie eben noch unvernünftig sind, kann man bei Jugendlichen nicht mehr. Vernunft heißt, man weiß, was man tut.
Man kann weiterdenken, wie beim Schach oder beim Siedler spielen, beim Fußball oder was Ihr sonst so spielt.
Euch wird schon langsam der Kopf rauchen: Stadtplan, Umwege, Kompass, Tugend, Ordnung halten, Vernunft, Verantwortung. Und das alles zur Jugendweihe!
Dabei seid Ihr alle freiwillig hier, jedenfalls habe ich kein Murren gehört.
Zum Erwachsenwerden und ‑sein gehört, etwas freiwillig zu tun, besser: die freie Entscheidung, etwas zu tun oder es zu lassen.
Das ist fast das Komplizierteste am Erwachsenwerden, aber das muss man lernen, Schritt für Schritt.
Die Freiheit für etwas oder gegen etwas zu sein, unterscheidet jeden Menschen vom Sklaven.
Freiheit ist darum ein wichtiges Grundrecht in unserem Staat.
Aber: mit der Freiheit muss man auch verantwortlich umgehen.
„Freiheit ist immer Freiheit der anders Denkenden, sich zu äußern.“ hat Rosa Luxemburg einmal gesagt. Also der Respekt vor dem Anderen.
Ich habe meine eigene Meinung, aber ich muss den anderen als Menschen respektieren, der ebenso ein Recht hat auf seine Meinung, auch wenn ich sie falsch finde.
Freiheit ist auch:
Man kann sein Taschengeld sofort auf den Kopf hauen oder man kann etwas davon sparen.
Man kann Lügen, um sich zunächst Unannehmlichkeiten zu ersparen, man kann aber auch die Wahrheit sagen, und zu seiner Handlung stehen.
Man kann den ganzen Nachmittag herumtrödeln, man kann aber auch fleißig sein, etwas Sinnvolles tun.
Ich will Euch sagen, Ihr habt immer die Wahl, Euch für oder gegen etwas zu entscheiden. Aber, Ihr müsst immer auch an die Konsequenzen denken.
Meine weitere Mahnung gilt der Toleranz.
Toleranz ist für viele Erwachsene leider ein Fremdwort. Dabei ist es so einfach erklärt: Achte die Meinung der Anderen so, wie Du willst, dass sie Deine Meinung achten. Also, versucht tolerant zu sein, auch wenn es schwer ist.
Die Menschen in aller Welt würden sich viel Leid, Not und Elend ersparen, wären sie toleranter.
Eure Eltern, Eure Familien, haben lange viele Entscheidungen für Euch getroffen. Ihr müsst jetzt zunehmend selbst Euer Leben bestimmen.
In der Familie werden viele von Euch schon heute helfen, aber die Verantwortung, die Ihr übernehmt, wird weiter wachsen: Ihr werdet öfter die kleineren Geschwister versorgen, vielleicht abends auf die Kinder von Nachbarn oder Freunden aufpassen und so Verantwortung für andere Menschen übernehmen.
Es wird sich auch in der Schule einiges ändern:
Ihr werdet immer mehr selbst verantwortlich für Eure Leistungen. Wer in der Schule nicht mitmacht und seine Hausaufgaben schludert, der wird irgendwann nicht mehr mitkommen und kann von den Lehrern irgendwann auch nicht mehr mitgeschleppt werden.
Ihr werdet in den nächsten Jahren zunehmend Fächer und Kurse wählen und abwählen können und damit selbst Entscheidungen treffen, was Ihr lernen wollt.
Das wird Auswirkungen darauf haben, für welche Ausbildung Ihr Euch interessiert und welchen Beruf Ihr später einmal ergreift. Ihr stellt also selbst die Weichen für später.
Manche von Euch sind aktiv in Gruppen und Vereinen. Wer sich von Euch für etwas engagiert, vielleicht in einer Jugendgruppe, der Freiwilligen Feuerwehr, einem Sportverein oder an der Schule, der wird zunehmend auch Mitgestalten können.
Ihr werdet gefragt werden, ob Ihr auch bei der Vorbereitung von Veranstaltungen mithelfen wollt, vielleicht selbst eine Jugendgruppe leiten, vielleicht im Sportverein eine Mannschaft von Jüngeren betreuen.
Es ist eine großartige Erfahrung, für andere verantwortlich zu sein und ich hoffe, dass viele von Euch eine solche Chance bekommen und sie wahrnehmen.
Von den Ostdeutschen sagen Wissenschaftler, dass sie mehr Beziehungen zu anderen Menschen haben, mehr miteinander kommunizieren, wie es in der schwerfälligen Sprache der Experten heißt. Man kann es viel besser ausdrücken: Freundschaften sind den Ostdeutschen wichtig, sie reden gern miteinander. Das muss ja nicht unbedingt im Unterricht sein. Sie treffen sich öfter auch in der Freizeit. Sie helfen sich. Man sagt sogar – und dieser Fachausdruck gefällt mir – sie hätten eine besonders große Chaosqualifikation. Also, in schwierigen Situationen wissen wir uns zu helfen. Und das Schwierigste sind immer die Beziehungen mit anderen Menschen. Aber auch das Wunderbarste.
Ihr müsst Euch überlegen, wem Ihr wirklich vertraut. Mit wem Ihr Probleme und Sorgen besprechen könnt, ob in der Familie oder mit Euren Freunden. Nichts ist schlimmer, als Vertrauen in jemanden gesetzt zu haben und enttäuscht zu werden. Aber auch solche Erfahrungen gehören dazu.
Eure Meinung wird ernst genommen, wenn Ihr sie Euch selbst gebildet habt, wenn Ihr selbst nachgedacht und Euch entschieden habt. Nachzuplappern, was Mitschülerinnen und Mitschüler oder Freunde, aber auch Lehrer oder Eltern Euch vorgeben, reicht nicht mehr aus.
Was Euch wichtig ist, was “wert-voll” ist, werden schließlich Eure Wertvorstellungen entscheiden. “Werte” ist ein schweres Wort, aber keine und keiner von Euch wird daran vorbeikommen, sich früher oder später mit der Frage zu beschäftigen, was wirklich zählt und wichtig ist im Leben.
Sind es schicke und teure Klamotten? Sind es gute Noten in der Schule oder Anerkennung für gute sportliche Leistungen? Ist es Anerkennung, die Ihr von Euren Eltern, Lehrern oder Freunden bekommt?
Fühlt Ihr Euch manchmal gut, weil Ihr jemandem geholfen habt, obwohl für Euch nichts dabei herausspringt? Vielleicht einem Mitschüler bei den Hausaufgaben unterstützen, vielleicht einer älteren Nachbarin im Treppenhaus beim Tragen des Einkaufs helfen?
Heute ist leider nichts mehr selbstverständlich.
Im Bus oder in der Straßenbahn für ältere Menschen den Platz freizumachen, aber auch das solltet Ihr mal tun!
Das mag etwas altmodisch klingen, aber ich bin sicher, dass Ihr dieses Gefühl kennt, wenn sich der andere bedankt.
Viele Menschen suchen ihr Leben lang nach etwas, was Ihrem Leben Sinn gibt und wonach sie sich ausrichten.
Denn die Fragen sind für alle Menschen dieselben:
Worauf kommt es Euch im Leben wirklich an?
Was trägt jenseits von materiellen Dingen?
Was trägt Euch, wenn Ihr mal krank werdet oder arbeitslos seid, wenn Eure Familie sich zerstreitet und vieles im Leben schief zu laufen scheint?
Oder wenn zum Beispiel ein naher Angehöriger stirbt?
Dann braucht man andere Menschen, die Halt geben, denen man absolut vertrauen kann und an denen man sich wieder aufrichten kann.
Deshalb ist Ehrlichkeit ganz wichtig im Leben. Denn ohne Ehrlichkeit gibt es kein Vertrauen, keine Freundschaft und keine Treue. Sicher seid Ihr auch schon einmal sehr enttäuscht gewesen, weil ein vermeintlicher Freund Euch belogen hat, Euch im Stich gelassen hat oder etwas weitererzählt hat, was Ihr ihm anvertraut hattet. Ehrlich zu sein, ist deshalb das Wichtigste. Anderen, aber auch sich selbst, nichts vorzumachen und klar zu sagen, wenn man etwas nicht tun kann oder nicht tun will.
Ihr werdet es schon bemerkt haben. Alle diese Dinge, die ich Euch hier vorgetragen habe, beruhen auf Überzeugungen, auf einem Fundament von Wertvorstellungen. Sie sind der Kompass für das Lesen des Stadtplans, um es ganz ernst zu sagen: für das Zurechtfinden im Plan des Lebens.
Dieser Kompass prägt unsere Verfassung, unsere Gesetze, nach ihm versuchen wir gute Politik zu machen, für die Menschen, für ein harmonisches Zusammenleben miteinander.
Die Menschenwürde ist wichtig für unsere gesellschaftliche Ordnung. Ein Mensch hat ein Recht auf Leben in Würde, ganz egal, ob er groß oder klein ist, ob stark oder schwach ist, ob intelligent oder weniger schlau. Ganz egal auch, ob er alt, krank oder hilfsbedürftig ist, ob er Deutscher ist oder Ausländer.
Deswegen lautet der erste Absatz von Artikel 1 unseres Grundgesetzes:
“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”
Dieses Menschenbild bedeutet aber auch, dass ein Mensch seinen Wert nicht verliert, weil er etwas nicht geschafft hat oder etwas falsch gemacht hat. Es gibt Starke und Schwache, Schlaue und Dumme, aber niemals gibt es einige, die mehr wert sind als andere.
Leider, ist es in der Praxis also im wirklichen Leben nicht immer so wie ich es gerade vorgetragen habe, deswegen lohnt es sich aber zu streiten und dafür zu kämpfen, dass der erste Absatz des Artikel 1 des Grundgesetzes tatsächlich für all hier lebenden Menschen gilt.
Ich will Euch sagen, was mir in meinem Leben sehr geholfen hat und täglich hilft.
Ich halte mich an folgende Weisheit:
“Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem andern zu!”
Wenn alle Rücksicht auf den anderen nehmen, klappt das Miteinander besser und wir kommen gemeinsam sehr viel besser voran.
Vergesst nie, dass Ihr selbständige Menschen und eigenständige Persönlichkeiten seid. Beachtet die Spielregeln, die für alle gelten, aber lasst Euch nicht bevormunden und nicht zwingen.
Lassen Sie sich nicht einreden, Sie müssten sein wie jemand anders, und verlangen Sie von Niemandem, sie oder er solle sein wie Sie oder wie sonst jemand. Manchmal ist man mit sich selbst unzufrieden. Man möchte größer sein, oder stärker, schöner natürlich, schneller, klüger und so weiter. Viel, viel wichtiger aber ist, dass jede und jeder von uns nur einmal da ist, unverwechselbar, einmalig.
Ihr könnt in Eurem Leben unendlich viel erleben, wenn Ihr Mut habt und Euren Fähigkeiten vertraut. Habt auch Mut, gut zu sein. Das heißt auch, dass Ihr besser und erfolgreicher seid als andere. Ihr dürft stolz sein auf Eure Erfolge.
Habt Ziele und Träume. Nie werden alle Träume wahr, das geht uns allen so. Deshalb seid nicht enttäuscht, wenn es mal nicht klappt und lasst Euch nicht entmutigen.
Bildet Euch Eure eigene Meinung und vertretet sie. Habt Respekt vor anderen Überzeugungen. Schaut nicht weg, wenn Ihr Unrecht und Gewalt seht. Das kann mit Kleinigkeiten anfangen, aber es zerstört am Ende alles.
Liebe Mädchen und Jungen,
das ist heute Ihr Tag. Aber ein paar Bemerkungen müssen auch Ihren Eltern gehören. Die erleben diese Feierstunde ganz anders als Sie. Das gleiche Wort, das gleiche Ereignis kann für einen anderen etwas ganz Anderes bedeuten als für einen selbst.
Ich vermute, dass sich Ihre Eltern heute daran erinnern, wie schnell aus ihren eben noch kleinen Kindern junge Erwachsene geworden sind. Für Sie, liebe Jugendliche, waren es lange, lange vierzehn Jahre, für Ihre Eltern eine rasend schnell vergangene Zeit.
Hören Sie nicht auf, auch mal auf Ihre Eltern zu hören, und Sie, liebe Eltern und Lehrer, hören Sie auf diese jungen Menschen. Sie denken anders, sie leben schon anders, sie haben andere Interessen. Sie können liebevoll miteinander darüber streiten, aber respektieren Sie dieses Anderssein.
Liebe Mädchen und Jungen,
Ihre Eltern, Verwandten und Freunde werden Ihnen heute Vieles wünschen. Ich weiß gar nicht, ob man sich an solche Wünsche später erinnert und ob man guten Ratschlägen überhaupt folgen kann. Ich weiß nicht einmal, ob ich ein Recht habe, Ihnen auch etwas dazu zu sagen.
Natürlich wünsche ich Ihnen alles Gute.
Jedoch, solche Wünsche ändern ja nicht die Welt.
Vieles hängt nicht von Ihren Eltern ab, auch nicht von Ihnen.
Sie werden es nicht immer leicht haben. Aber das wissen Sie selbst. Da Ihre Eltern heute besonders freundlich sind, auch die ernstesten Wünsche liebevoll ausdrücken werden, will ich es zum Schluss übernehmen, einen Wunsch etwas drastischer zu formulieren:
Versuchen Sie, keinen großen Mist zu machen in Ihrem Leben.
Es gibt ganz Blödes, Unwürdiges, Vieles, das hinterher nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann.
Passen Sie auf sich auf!
Ihre Eltern und Ihre Freunde werden immer für Sie da sein. Aber letztlich entscheiden oft nur Sie. Das ist das Problem des Erwachsenseins. Aber auch eine Chance.
Vergessen Sie nie:
Es gibt nichts Besseres auf dieser Welt als Sie, aber auch nichts Schlechteres als Menschen, die vergessen, dass dies für alle Menschen gilt.
Vielen Dank fürs Zuhören!