Eröffnungsrede zur Konferenz „Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat“, am 7. Juli 2012
Liebe Genossinnen und Genossen,
sehr geehrte Gäste!
Das Thema der heutigen Konferenz,
„Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat“, gehört zu den Schlüsselthemen nicht nur der Partei DIE LINKE, sondern der gesellschaftlichen Linken überhaupt.
Aller gesellschaftliche Reichtum entspringt aus der gesellschaftlichen Arbeit.
Wo auch immer diese geleistet wird,
als Lohn- und Erwerbsarbeit im Betrieb,
im Büro oder auf dem Feld,
als Familienarbeit zur Betreuung und Bildung von Jungen, Alten oder Benachteiligten,
als ehrenamtliche Arbeit im Verein,
im Sportklub
oder heute hier, bei einer Partei
oder auf einem der vielen anderen Felder gesellschaftlichen Tätig seins.
Mit Marx können wir sagen:
„Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als nützliche Arbeit, ist die Arbeit daher eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln.“
Und wenn wir LINKE also wissen, dass der ungeheure gesellschaftliche Reichtum, der zum Beispiel in Deutschland Jahr für Jahr produziert wird, zugleich ungeheuer ungerecht verteilt ist, steht für uns die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit.
Die Spannweite linker Antworten auf die Verteilungsfrage ist außerordentlich breit, ich deute sie daher nur mal kurz an.
Im Artikel 12 der Verfassung der UdSSR aus dem Jahr 1936 hieß es:
„Die Arbeit ist in der UdSSR Pflicht und Ehrensache jedes arbeitsfähigen Staatsbürgers nach dem Grundsatz: “Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.” (Zitat Ende)
Eine andere Tendenz ist bei Brecht zu finden, der im Einheitsfrontlied wie folgt formuliert:
„Und weil der Mensch ein Mensch ist,
Drum braucht er was zum Essen, bitte sehr!“
Der Spannungsbogen der zu diskutierenden Auffassungen reicht also von einer festen Anbindung der Verteilungsfrage an die Arbeit bis dahin, dass das Menschsein an sich ausreichend ist, um ein Recht auf Existenz zu haben.
Aber wir wären keine Linken, wenn wir es uns in der Beantwortung dieser Frage zu einfach machen würden.
Schon allein darüber, was denn als „Arbeit“ überhaupt gelten soll und was nicht, gibt es großen Diskussionsbedarf.
Ist Arbeit nur das, wofür man bezahlt wird?
Oder ist das, wofür man bezahlt wird, gar keine Arbeit im allgemeinen Sinne, sondern nur „Lohnarbeit“?
Und wie ist das mit der Arbeit und der Lohnarbeit im Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft?
Kann „Lohnarbeit“ „gute Arbeit“ sein, wenn es genug Geld dafür gibt? Oder ist „gute Arbeit“ dann gut, wenn sie umso kürzer ist?
Und war da mal nicht was mit der Entfremdung und der Lohnarbeit?
Wie ist das mit einer kapitalismuskritischen, in Teilen auch antikapitalistischen Partei, wenn es um das Herzstück kapitalistischer Unterdrückung geht, nämlich die Lohnarbeit?
Wo stehen wir da mit unserer Kapitalismuskritik?
Und was ist uns der Mensch wert, wenn er nicht in Lohnarbeit ist, sondern anderen Arbeiten nachgeht oder nachgehen muss?
All diese Fragen schossen mir durch den Kopf, als ich das Programm der heutigen Konferenz gelesen habe. Viele Ideen und Konzepte sind dazu bereits in der Debatte, sei es die Kampagne zur „Guten Arbeit“, die Diskussion über die „Vier-in-einem-Perspektive“ oder eben, und das ist ja gewissermaßen der Knackpunkt des heutigen Tages, das Bedingungslose Grundeinkommen.
Ich sehe hier viele im Raum, von denen ich weiß, wo sie stehen und welche Meinung sie haben.
Ich wäre froh darüber, wenn durch die heutige Konferenz aus Standpunkten Bewegung wird. Aus Meinung Denken und aus Widersprüchen vielleicht die eine oder andere Gemeinsamkeit erwachsen könnte.
Im Übrigen, Visionen gehören zu einer linken Partei und zur Partei DIE LINKE sowieso.
In dieser Hoffnung eröffne ich hiermit die Konferenz:
„Arbeit und Existenzsicherung im demokratischen Sozialstaat“
GLÜCK AUF!