Ist unser Gesundheitssystem noch zu retten?
Meine Rede zur Veranstaltung am 17.09.2012 “Die Krise des Kapitalismus — Ist unser Gesundheitssystem noch zu retten?”
Liebe Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass das deutsche Gesundheitssystem krank ist, gehört wohl zu den Überzeugungen in der Bevölkerung die am meisten verbreitet sind – gestützt auf persönliche Erfahrungen.
Weniger mit schlechten Ärzten, denn ich glaube ungeachtet gelegentlicher Aufregung um das tatsächliche oder vermeintliche Ausmaß medizinischer Behandlungsfehler, dass sich die Qualität der im Gesundheitswesen geleisteten Arbeit gerade auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Das gilt für Krankenhäuser ebenso wie für Arztpraxen.
Das allgemeine Unbehagen gründet auch nicht in den Gesamtkosten der Gesundheitsversorgung. Man kann und muss über die Frage der Profite der Pharmaindustrie ebenso reden wie über die Vergütungen mancher Chefärzte und auch Ärztefunktionäre, die weitgehend abgehoben von konkreter Leistung sind. Verglichen mit dem horrenden und völlig enthemmten Bonus-Unwesen in der Finanz- und Konzernwelt ist das Phänomen einzelner überbezahlter Ärzte aber ein beherrschbares Ärgernis.
Was uns mehr oder weniger alle verstimmt, ist das Gefühl, dass der Mensch beim Betreten des Gesundheitswesens gewissermaßen in seine Einzelteile zerlegt, verwaltet und repariert, aber kaum als Person oder gar Persönlichkeit ernst genommen wird.
Wer beim Hausarzt in einer Minuten seine Beschwerden erläutern muss, wird wahrscheinlich auch dann ein ungutes Gefühl haben, wenn er ungeachtet dessen am Ende die richtigen Tabletten verschrieben bekommt.
Ein System, das zwar die teuersten Maschinen möglich macht, aber in seinem Abrechnungssystem das zwischenmenschliche Gespräch eigentlich nicht mehr vorgesehen hat, ist scheineffektiv.
Tatsächlich wird es, je länger es sein Unwesen treiben darf, immer ineffizienter. Denn vom Ziel, Menschen wirklich gesund zu machen, entfernt sich das Gesundheitswesen mit jedem Tag mehr.
Es bekommt nicht die dramatisch zunehmende Zahl psychischer Erkrankungen in den Griff und sieht sich von Patienten überfordert, deren Schmerzen organisch nicht recht erklärbar sind.
Das Gesundheitssystem ist natürlich dabei das Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen – dass beispielsweise zu wenig miteinander geredet wird, sieht man schon daran, dass bei der Einschulung immer mehr Kinder mit Sprachstörungen festgestellt werden.
Linke unterschiedlicher parteipolitischer Zugehörigkeit schlagen sich ja bisweilen mit Vorwürfen herum, nur Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu sein.
Manche bekennen sich auch bewusst zu dieser Rolle. Üblicherweise pflegt man Linke in dieser Rolle als Reformer zu bezeichnen, und diejenigen, die das kritisieren, als Fans revolutionärer Lösungen.
Die Partei DIE LINKE stellt sich der im Alltag nicht immer gesundheitsfördernden Herausforderung, diese beiden sich scheinbar widersprechenden Traditionslinien in einer Partei unter einen Hut bringen zu wollen. Und das gilt natürlich auch für die Fraktion im sächsischen Landtag.
Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass die aktuell drängendsten Probleme des Gesundheitssystems etwas mit den Symptomen –nicht nur der — gegenwärtigen Krise des Kapitalismus zu tun haben.
Wenn wir in sächsischen Regionen ein wachsendes Defizit an Haus- und Fachärzten beklagen, ist das ja nur die andere Seite der Medaille der Abwanderung, die dadurch ausgelöst wird, dass die Schere der Entwicklung zwischen den Metropolen und dem ländlichen Raum immer weiter auseinandergeht.
Nebenbei ist dies ja kein sächsisches, sondern ein globales Problem, dessen Lösung gleichwohl lokal in Angriff genommen werden muss.
Oder wenn wir eine wachsende Diskrepanz zwischen dem schwindelerregenden Fortschritt im medizinischen Hightech-Bereich einerseits und ernüchternden Lücken in der Grundversorgung andererseits erleben, dann ist auch dies Spiegelbild eines allgemeinen Trends: Man kommt zwar mit Hochgeschwindigkeitszügen von einer Millionenstadt zur anderen, aber die Mehrheit der Bevölkerung, die in Kleinstädten lebt, weiß nicht, wie sie abends noch mit dem Bus nach Hause kommt.
So stehen wir vor der paradoxen Lage, dass die Krise des real existierenden Sozialismus die Sehnsucht nach Medizin-Technik und manchmal auch Medikamenten aus dem Westen schürte, die Krise des Kapitalismus aber den Wunsch nach Polikliniken bzw. ärztlichen Versorgungszentren und dem legendären Leitbild einer „Schwester Agnes“, die auf ihrer Schwalbe über holperige Dorfstraßen zu ihren Patienten nach Hause eilt.
Heute sind die Straßen frisch asphaltiert und „Schwalben“ findet man nur noch bei Nostalgikern, aber eine „Schwester Agnes“ kommt im Regelfall auch nicht mehr.
In den letzten Jahren wird allerdings verstärkt mit Modellprojekten gearbeitet, die sich auf „Schwester Agnes“ berufen, und es gibt neben den „Ärztehäusern“ mit vielen Fachärzten unter einem Dach auch „Medizinische Versorgungszentren“ ähnlich den früheren Polikliniken.
Wir sollten so revolutionär sein, im Interesse der Patientinnen und Patienten bewährte Bausteine des Gesundheitswesens zu einem neuen Haus zusammenzubauen, in dem das eingangs geschilderte weit verbreitete Unbehagen der Vergangenheit angehört.
Ein Gesundheitssystem zum Wohlfühlen mag nicht in jeder konkreten Situation hundertprozentig realisierbar sein – selbst die freundlichste Zahnärztin der Welt macht den Bohrer nicht zu etwas, was ich in meinem Mund erwartungsfroh herzlich willkommen heiße.
Aber, mit gutem politischen Willen, der die Fachleute einbezieht, lässt sich viel machen – und dazu wollen wir heute Abend als Landtagsfraktion gemeinsam mit Ihnen einen Beitrag leisten.
Ich bedanke mich bei meinem Fraktionskollegen Prof. Besier, der nicht nur die Dachmarke dieser Veranstaltungsreihe „Die Krise des Kapitalismus und die Antworten der Linken“ erfand, sondern auch das Thema der heutigen Veranstaltung sowie ihren Ablauf, insbesondere den Film, den wir gleich sehen werden, angeregt hat.
Ohne unsere fachkundigen Gäste wäre das Ganze aber eine Totgeburt, und deshalb freue ich mich, hier als Mitwirkende am Programm begrüßen zu dürfen:
………….
Ich möchte aber auch ausdrücklich Sie alle begrüßen, die Sie heute hierhergekommen sind – ob als Fachleute oder Betroffene oder schlicht Interessierte. Nur so ist der Dialog möglich, den wir mit dem Film, den Thesen zu einer linken Gesundheitspolitik in Sachsen und der Podiumsdiskussion anregen wollen.
Da ich nicht nur Fraktions‑, sondern auch Landesvorsitzender meiner Partei bin, sei mir diese Schlussbemerkung gestattet: Die sächsische LINKE ist ja immer noch der größte Landesverband der LINKEN in ganz Deutschland, obwohl wir rein statistisch schon seit vielen Jahren ziemlich alt sind und im Durchschnitt älter als alle andere Landesverbände.
Damit sind wir ebenfalls Spiegelbild der Gesellschaft, denn die Sachsen sind rein rechnerisch bundesweit die Ältesten – das Durchschnittsalter der Bevölkerung marschiert auf die 50 zu, weshalb man sich ja auch als fast 50-Jähriger noch als objektiv relativ jung betrachten darf – wofür ich persönlich dankbar bin .
Sie sehen aber daran, dass sich die LINKEN in Sachsen fit halten und so lange wie möglich fit bleiben wollen. Deshalb liegt uns die Rettung des Gesundheitssystems in Sachsen auch persönlich sehr am Herzen. Gesundheit und Glück hängen unauflösbar miteinander zusammen, und so sehen Sie es mir bitte nach, dass ich auch diese Veranstaltung so eröffne, wie ich es als gebürtiger Erzgebirger gewohnt bin:
Glück auf!