Machtwechsel mit dem Florett
Interview mit dem ND vom 24. September 2012
Sachsens LINKE-Fraktionschef Rico Gebhardt über einen Brief aus dem Osten Rico Gebhardt ist seit 2009 Chef der LINKEN in deren größtem Landesverband Sachsen und seit Sommer nicht nur Vater von Zwillingen, sondern auch Nachfolger von André Hahn als Chef der Landtagsfraktion. Mit dem 49-jährigen Erzgebirger sprach Hendrik Lasch — auch über den Brief der Ost-Landes- und Fraktionschefs, zu dessen Unterzeichnern Gebhardt gehört.
nd: In der LINKEN sorgt ein Brief der ostdeutschen Landes- und Fraktionschefs für Wirbel, in dem diese unter anderem erklären, sie »erwarten mehr Respekt«. Inwieweit mangelt es derzeit daran? Gebhardt: Wir möchten die Lebensleistung derjenigen stärker anerkannt wissen, die im Osten 22 Jahre lang erfolgreich Politik gemacht haben. Das ist in der LINKEN ein wenig untergegangen. Die Ostdeutschen haben Verständnis dafür gehabt, dass beim Aufbau der Partei im Westen auch radikalere Positionen bezogen werden müssen. Jetzt wäre es aber an der Zeit, auch vor der ostdeutschen Lebenserfahrung — dem Erleben der Transformation einer Gesellschaft in eine andere — wieder mehr Respekt zu zeigen.
Warum soll sich der Respekt, wie der Text nahelegt, ausgerechnet im Personal des geschäftsführenden Vorstands zeigen? Das ist eine Facette. Man kann fragen, wie wichtig die Herkunft bei Menschen wie Katja Kipping oder Caren Lay ist, die aus Sachsen kommen oder hier gewählt werden. Ich halte es aber für bemerkenswert, dass dem Gremium niemand angehört, der einst eine herausgehobene Rolle in der PDS spielte. Von dort kommt die Mehrzahl der Mitglieder unserer Partei. Das sollte der Vorstand widerspiegeln.
Der Vorstand wurde beim Göttinger Parteitag gewählt. Manche lesen den Brief als Fortsetzung von Konflikten, die nach Göttingen als beigelegt gelten. Wird da Öl in ein fast gelöschtes Feuer gegossen? Nein. Ich denke, es war gut, dem neuen Vorstand diesen Brief zu schreiben. Er ist fair, es steht nichts Böses drin. Das ist keine Fortsetzung früherer Kontroversen. Es gibt Signale von beiden Parteivorsitzenden, dass sie verstanden haben und die Probleme zu lösen gewillt sind, auch wenn sie die nicht in der Schärfe wahrnehmen wie wir. Noch einmal: Wir haben den Brief geschrieben, weil wir Probleme sehen, nicht, weil uns langweilig wäre.
Eberhard Crome meinte im »nd«, die Intention sei eine andere: Es gehe um ein Machtzentrum neben dem Parteivorstand. Die Behauptung ist absurd. Jede Fraktion ist ein Machtzentrum. Auch wenn Landesverbände gemeinsam aktiv werden, ist das ein Machtzentrum. Uns ging es vor allem darum, auf eine Problemlage aufmerksam zu machen. Darüber wird man doch reden können.
Den Brief haben Sie auch als Fraktionsvorsitzender signiert, ein Amt, das Sie im Sommer von André Hahn übernommen haben. Warum war der Wechsel notwendig? Wir wünschen uns gemeinsam einen neuen Kommunikationsstil; und wir wollen klarer nach außen hin sagen, wofür wir stehen: einen Politikwechsel in Sachsen, den wir uns mit SPD und Grünen vorstellen können und in dessen Ergebnis wir Regierungsverantwortung übernehmen wollen. Dazu wollen wir mit den Partnern auf Augenhöhe reden. Meine wichtigste Aufgabe ist, die Fraktion zu stärken, die sich mit Inhalten profilieren und mehr mit den Menschen im Land ins Gespräch kommen will.
Die Fraktion, so Ihre Analyse, hat viele gute Experten, die zu selten zusammenarbeiten. Wie soll sich das ändern? Zum Beispiel durch ressortübergreifende Arbeit zu Themen wie Armut oder Innovation, die viele Fachpolitiker einbezieht. Mit Konzepten wie dem alternativen Landesentwicklungsplan Aleksa gab es schon Ansätze. Damals gelang es vielleicht nicht genügend, die Arbeit zu moderieren. Ich will meinen Kolleginnen und Kollegen das Gefühl geben, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, mit dem sie sich identifizieren. Dazu muss die Motivation gestärkt werden, und wir müssen uns wieder mehr trauen und kreativer sein.
Sie sagen, die Zeit der »ermüdenden Frontalangriffe auf eine vermeintliche Festung CDU« sei vorbei. Was heißt das praktisch? Die CDU bleibt der politische Hauptgegner. Ich glaube aber, es gibt Mittel, mit denen man sie anders aus der Fassung bringen kann als bisher. Man kann sie mit Witz auf Probleme stoßen, statt die argumentative Keule zu schwingen. Wir haben 22 Jahre mit dem Säbel gefochten, nicht ohne Erfolg, aber ohne die CDU aus der Regierung zu drängen. Jetzt sollten wir es mal mit dem Florett versuchen.
Die Verdrängung der CDU ist nicht zuletzt gescheitert, weil es kein erkennbares gemeinsames Projekt von LINKE, SPD und Grünen gab. Hat sich das geändert? Das ist ein sensibles Feld. Als im Frühjahr über ein angebliches Strategiepapier jüngerer Politikerinnen und Politiker der Parteien berichtet wurde, sorgte das für viel Aufregung. Der Prozess geriet ins Stocken. Es gibt jetzt Signale, dass für 2013 Aktivitäten vorbereitet werden. Das ist aber noch nicht spruchreif. Wichtiger sind gemeinsame Anträge und Gesetzentwürfe im Landtag, wovon es inzwischen viele gibt. Und wichtig ist ein Grundvertrauen, das auch schwierige Situationen übersteht. Die werden kommen. Bei den OB-Wahlen in Leipzig und Chemnitz etwa treten wir gegen SPD-Amtsinhaber an. Wichtigstes Ziel ist aber, dass die CDU nicht gewinnt.
Wer Landes- und Fraktionschef ist, gilt gemeinhin als geborener Spitzenkandidat. Führen Sie die LINKE in die Landtagswahl 2014? Die Entscheidung treffen wir 2013 nach der Bundestagswahl. Bis dahin wissen wir, wie die Arbeit in der Doppelfunktion klappt und wie die Akzeptanz in der Partei ist. Danach wird entschieden.