Eröffnungsrede beim Hearing „Schuldenbremse – eine Zukunft ohne Schulden?“ mit Prof. Heiner Flassbeck

Dien­stag, 9.10.2012, Säch­sis­ch­er Land­tag

Liebe Genossin­nen und Genossen,
meine Damen und Her­ren,

seit acht Monat­en reden die fünf demokratis­chen Frak­tio­nen des Säch­sis­chen Land­tages – also alle außer NPD – über eine Weit­er­en­twick­lung der säch­sis­chen Lan­desver­fas­sung. Aus­gangspunkt war zwar der Wun­sch der schwarz-gel­ben Koali­tion, mit der rot-rot-grü­nen Oppo­si­tion über die Auf­nahme eines Schulden­ver­bots in die Ver­fas­sung des Freis­taates ins Gespräch zu kom­men. Tat­säch­lich aber haben wir schon seit über zehn Jahren in einem ganz anderen Punkt eine Ver­fas­sungsre­for­mde­bat­te in Sach­sen: beim The­ma Senkung des Quo­rums für einen Volk­sentscheid. Hier hat unsere Frak­tion gewis­ser­maßen seit Beginn des neuen Jahrtausends das Jahrhun­dert-The­ma „Mehr Bürg­er­beteili­gung!” immer wieder auf die Tage­sor­d­nung geset­zt. Also schon zu einem Zeit­punkt, als wir mit CDU und SPD allein im Land­tag waren.

Ich will Sie jet­zt nicht mit einem his­torischen Abriss aller Zwis­chen­sta­tio­nen dieses Rin­gens um mehr direk­te Demokratie in Sach­sen lang­weilen. Mir geht es nur darum, auch angesichts dessen, dass wir heute einen Gast vom inter­na­tionalen Poli­tik-Par­kett begrüßen dür­fen, der Welt nochmal zu erk­lären, wie es zu dieser ungewöhn­lichen Kon­stel­la­tion gekom­men ist: CDU und LINKE ver­han­deln über ein Schulden­ver­bot und über mehr Demokratie.
Das hat für alle Beteiligten Fol­gen: Es ist ja nicht nur so, dass ich gele­gentlich Fra­gen aus dem Rest der Repub­lik beant­worten muss, wie wir dazu kom­men, mit der CDU über ein Schulden­ver­bot zu reden. Ähn­lichen Fra­gen muss sich ver­mut­lich der Kol­lege Flath von der CDU auch stellen, weil es ja in Deutsch­land nicht zum christ­demokratis­chen Stan­dard gehört, ein Dreiviertel­jahr lang auch mit den LINKEN Ver­hand­lun­gen über eine Ver­fas­sungsre­form zu führen.

Ich sehe das Ganze unaufgeregt prag­ma­tisch so: CDU und FDP haben keine Zwei-Drit­tel-Mehrheit für ein Neu­ver­schul­dungsver­bot, weil es auch bei SPD und GRÜNEN erhe­bliche Bedenken dage­gen gibt. Und wir haben keine Zwei-Drit­tel-Mehrheit für eine Erle­ichterung der Bürg­er-Mitbes­tim­mung, weil wir zwar viel Zus­tim­mung bei SPD und GRÜNEN gefun­den haben, aber bish­er die CDU eine Total-Block­ade prak­tiziert und die FDP darüber am lieb­sten nicht reden will, obwohl sie im Wahl­pro­gramm etwas anderes erzählt hat.

Deshalb haben wir gesagt – ungeachtet ein­er Rei­he von weit­eren Änderungswün­schen in der Ver­fas­sungs­de­bat­te: Wir nehmen das Ange­bot zu Ver­hand­lun­gen an. Es gehört zur par­la­men­tarischen Kul­tur, miteinan­der zu reden. Und wir kön­nen uns ja nicht ein­er­seits bekla­gen, dass die CDU bish­er alle unsere Anträge aus Prinzip abgelehnt hat, und ander­er­seits das Gespräch ver­weigern, nur weil uns das The­ma nicht passt.

Hinzu kommt eine säch­sis­che Beson­der­heit. Sach­sen ver­fügte 1990 über die mit Abstand besten Startbe­din­gun­gen aller neuen Bun­deslän­der. Das hängt mit der Geschichte dieses Lan­des zusam­men, das nicht nur eine über­durch­schnit­tliche Bevölkerungs­dichte hat, son­dern tra­di­tionell durch eine Wirtschafts- und Wis­senschafts-Infra­struk­tur geprägt ist, die natür­lich einen Wet­tbe­werb­svorteil des Stan­dorts Sach­sen bedeutet. Und auch ein Georg Mil­bradt war wohl nicht der schlecht­este Finanzmin­is­ter, auch wenn er seinen Ruf durch den speku­la­tions­be­d­ingten Crash der säch­sis­chen Lan­des­bank nach­haltig ruiniert hat.

Jeden­falls haben wir in Sach­sen kein Schulden­prob­lem, son­dern ein Defiz­it an Investi­tio­nen in Bil­dung statt in Beton. Die Stre­it­frage ist daher nicht: Schulden machen – ja oder nein? Son­dern: Wofür soll das Geld aus­gegeben wer­den? Sach­sen macht seit 2006 keine neuen Schulden, mit der säch­sis­chen Haushalt­sor­d­nung ist de fac­to eine Schulden­bremse bere­its einge­führt. Unsere Frak­tion hat schon seit dem Jahr 2000 ihre alter­na­tiv­en haushalt­spoli­tis­chen Konzepte ohne Ruf nach zusät­zlich­er Neu­ver­schul­dung vorgelegt.

Deshalb haben wir in Sach­sen objek­tiv eine andere Aus­gangslage als in allen anderen Bun­deslän­dern, wo LINKE in Land­ta­gen bzw. Abge­ord­neten­haus oder Bürg­er­schaft ihre Poli­tik machen. Und deshalb war auch unsere erste Reak­tion auf den Ruf von Schwarz-Gelb nach einem Schulden­ver­bot in der Lan­desver­fas­sung nicht, dies als kon­ser­v­a­tives Teufel­szeug zu brand­marken, son­dern schlicht festzustellen: Ein solch­es Schulden­ver­bot braucht in Sach­sen nie­mand, es ist über­flüs­sig. Ganz davon abge­se­hen, dass durch Entschei­dun­gen der Bun­de­spoli­tik die Schulden­bremse für Bund und Län­der in abse­hbar­er Zeit sowieso kommt – die allerd­ings in dieser Form von der LINKEN zu Recht abgelehnt wird.

Ger­ade weil das Schulden­ver­bot für Sach­sen am Sta­tus quo hierzu­lande gar nichts ändern würde, stellt sich natür­lich für realpoli­tisch agierende LINKE die Frage: Wollen wir CDU und FDP mit einem „Nein“ den Popanz eines Stre­its um ver­meintlich ser­iöse oder unser­iöse Finanzpoli­tik gön­nen? Haben wir nicht vielmehr gemein­sam mit SPD und GRÜNEN die Chance, Kon­di­tio­nen eines Schulden­ver­bots zu ver­han­deln, die für das Land mehr Hand­lungsspiel­raum bieten als die auf uns zuk­om­mende Schulden­bremse?

Mit diesen Fra­gen sind unsere ver­fas­sungsrechtlichen bzw. finanzpoli­tis­chen Experten in der Ver­hand­lungskom­mis­sion, Klaus Bartl, und Sebas­t­ian Scheel, seit Län­gerem inten­siv befasst. Gemein­sam haben wir uns entschlossen, der Frak­tion dieses heutige Hear­ing mit einem inter­na­tion­al anerkan­nten Fach­mann vorzuschla­gen.

Prof. Dr. Hein­er Flass­beck ist eine stre­it­bare Per­sön­lichkeit. Und ich bekenne gle­ich mal, dass ich seine Posi­tion zur Notwendigkeit der Auflö­sung der gemein­samen Euro-Zone in Europa nicht teile. Aber Prof. Flass­beck gehört zweifel­los zu den am meis­ten anre­gen­den ökonomis­chen Denkern der Gegen­wart. Er ist Chefökonom der Unc­tad, der Kon­ferenz der Vere­in­ten Natio­nen für Han­del und Entwick­lung, und er war u. a. Staatssekretär im Bun­des­fi­nanzmin­is­teri­um, als der Finanzmin­is­ter Oskar Lafontaine hieß. Schw­er­punkt der Auf­gaben des Staatssekretärs: Inter­na­tionale Finanz- und Währungs­fra­gen und Europa­poli­tik.

Würde ich hier alle wichti­gen beru­flichen Sta­tio­nen von Prof. Flass­beck aufzählen, kämen wir nicht mehr zu seinem Refer­at und der Diskus­sion darüber. Deshalb will ich es jet­zt dabei bewen­den lassen und mich beim Ref­er­enten dafür bedanken, dass er es trotz seines dicht gedrängten Ter­minkalen­ders ermöglicht hat, heute bei uns in Dres­den zu sein.

Wir haben auch die Mit­glieder der anderen Frak­tio­nen in der gemein­samen Ver­hand­lungskom­mis­sion ein­ge­laden. Die Her­ren Michel und Schie­mann haben auf unsere Ein­ladung geant­wortet und sich auf­grund ander­er Verpflich­tun­gen entschuldigt. Ich gehe davon aus, dass sie etwas ver­passen wer­den. Aber ich sehe Besuch aus der CDU-Frak­tion, Sie wer­den die Her­ren sich­er informieren.

Wir disku­tieren nun seit acht Monat­en über die Frage des Schulden­ver­bots. Wenn die Müt­ter und Väter der säch­sis­chen Lan­desver­fas­sung Anfang der 90-er Jahre eben­so langsam gear­beit­et hät­ten, hätte der Freis­taat Sach­sen heute noch keine Ver­fas­sung. Ich wün­sche mir daher eine behut­same Beschle­u­ni­gung des Ver­fahrens, vor allem aber, dass wir so schnell wie möglich auch über die vie­len anderen The­men sprechen, die nicht nur uns als LINKEN wichtig sind.

Erfreulicher­weise disku­tiert man ja nun sog­ar in der CDU im Vor­feld ihres Lan­desparteitages über eine Erle­ichterung von Volk­sentschei­den – offen­bar kommt Bewe­gung in die säch­sis­che Ver­fas­sungs­de­bat­te. Wir sind uns selb­stver­ständlich bewusst, dass wir hier in Sach­sen nicht unab­hängig vom Rest der Welt disku­tieren kön­nen, und deshalb wollen wir nun einen Ökonomen von Welt hören, der zum The­ma spricht „Schulden­bremse – eine Zukun­ft ohne Schulden?“

Ich bin ges­pan­nt auf das, was wir jet­zt zu hören bekom­men, Prof. Flass­beck.