Rede bei der Nominierung des Direktkandidaten der LINKEN Sachsen am 9. März 2013
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich bin gefragt worden, ob ich die Eröffnungsrede bei eurer heutigen Veranstaltung halten könnte.
Ich war über die Anfrage – sagen wir mal so — etwas irritiert.
Warum soll der Landesvorsitzende so eine Nominierungsveranstaltung eröffnen?
Was wollen die Genossinnen und Genossen damit für ein Symbol setzten?
Vielleicht hat es was mit dem Datum zu tun?
So unmittelbar nach dem 5. März?
Wo es euch erstmalig gelungen ist – über alle Schwierigkeiten in der Vorbereitung des Tages hinweg — ein klares, gemeinsames Zeichen zu setzten:
Wo wir sind, kann kein Nazi sein und wo wir sind kann kein Nazi laufen! Klasse habt ihr das gemacht!
Vielleicht wollen die Genossinnen und Genossen gleich zu Beginn der Versammlung wissen, wer denn so in den anderen Wahlkreisen für die LINKE nominiert worden ist?
Also 7 Frauen, die da heißen: Andrea, Barbara, Caren, Janina, Katja, Sabine und Susanna und bisher 8 Männer, die da heißen: André, Axel, Ilja, Jörn, Lothar, Mike, Sebastian und Tilo.
15 gute BotschafterInnen unserer Partei!
Am heutigen Tage wird von Euch hier in Chemnitz der letzte der sächsischen Direktbewerber der LINKEN gewählt, nach jetziger Bewerberlage heißt er entweder Micha oder Timo.
Wir schließen heute also diese Phase unserer Wahlkampfvorbereitungen ab, bevor am 27. April die Reihenfolge auf der Landesliste durch die VertreterInnen gewählt wird.
Vielleicht soll ich deswegen am Beginn reden, damit ich noch die Chance habe nach Berlin zu fahren, weil heute in Berlin eine große Regionalkonferenz der LINKEN stattfindet?
Wir diskutieren ja, wie euch bekannt ist, das Wahlprogramm unserer Partei für die Bundestagswahlen.
Um eines vorweg zu sagen: der Erfolg bei diesen Bundestagswahlen wird mit Sicherheit nicht im Selbstlauf erzielt werden.
Momentan stehen wir bundesweit zwischen 6 und 7 %, dass ist kein sicheres Polster, zumal der Wahlkampf ja noch lange nicht in seine heiße Phase eingetreten ist.
Wenn wir auf die letzten zwei Jahre nochmal Rückschau halten, dann müssen wir feststellen, dass nicht nur unsere Umfrageergebnisse, sondern auch unsere Wahlergebnisse nicht besonders gut waren.
Bis auf die beiden Stadtstaaten Hamburg und Bremen haben wir bei allen Wahlen in den westdeutschen Flächenländern deutlich verloren – zum Teil mehr als die Hälfte unserer Wählerinnen — und konnten in keinen Landtag einziehen bzw. wieder einziehen – außer im Saarland. In Berlin verloren wir 1,7 %, in Sachsen-Anhalt stagnierte unser Ergebnis, auch wenn wir in absoluten Zahlen zulegen konnten und in Mecklenburg-Vorpommern konnten wir leicht – um 1,6 % — zulegen.
Das sind die harten Fakten, von denen ausgehend wir den Bundestagswahlkampf gestalten müssen.
Nun gehen in unserer Partei die Meinungen manchmal auseinander, was die Frage nach der richtigen Vorgehensweise in dieser Situation betrifft.
Heutzutage gibt es da ja ein interessantes Hilfsmittel – nämlich die Befragung der Wählerinnen und Wähler. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen – da geht es um etwas mehr, als die sogenannte „Sonntagsfrage“ und einen Telefonanruf, sondern um wissenschaftlich gestützte und vertiefte Gespräche mit eine großen Zahl von Menschen. Im Vorfeld der Niedersachsenwahl hatte der Parteivorstand eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben, aus der die Ansprüche der möglichen niedersächsischen LINKE-Wähler an uns hervorgingen.
Kurz zusammengefasst waren das folgende:
DIE LINKE solle sich auf die Themen Versorgungssicherheit, Arbeit und Entlohnung konzentrieren und dabei den Bezug auf Ärmere und Schwächere ebenso wie zum Durchschnittsbürger herstellen. Dabei wurde eine Lösungsorientierung eingefordert, die deutlich über einfachen Protest hinausgeht.
DIE LINKE soll sich der Perspektive der gesellschaftlichen Integration zuwenden, und zwar in allen Dimensionen, also sozial stark und schwach; jung und alt, Ost und West, Deutsche und Migranten usw.
Bei all dem sollen wir Eigenständigkeit gegenüber SPD und Grünen zeigen, dennoch aber zur Durchsetzung konkreter Politikkonzepte Kompromissbereitschaft zeigen. Dabei wäre es in den Augen unserer potentiellen Wähler auch wichtig, weniger Ideologie zu produzieren, ohne von unseren Idealen Abstand zu nehmen.
Das klingt alles gar nicht so neu, überraschend oder unerfüllbar. Auch die Menschen im Westen erwarten offensichtlich von uns, dass wir uns ihren unmittelbaren Problemen zuwenden und glaubwürdige – also umsetzbare – Lösungen anbieten und dafür am Ende auch kompromissbereit sind.
Mal vereinfacht gesagt – jede KommunalpolitikerIn, der ein paar Jahre seine Aufgabe erfüllt, kann diese Anforderungen doch nur bestätigen.
Und das ist nicht neu, sondern das ist seit vielen Jahren so. Schon zu PDS-Zeiten, als ich zum Beispiel in Aue zum Bürgermeister kandidierte und mit über 40 % auch nicht schlecht abgeschnitten habe, war doch klar: Glaubwürdigkeit erlangen wir nur durch harte, ehrliche Arbeit an den unmittelbaren Problemen der Menschen.
Und ja, diese sind eben sehr häufig in Bereichen zu finden, die nicht auf den ersten Blick mit der „Klassenfrage“ zu tun haben – nämlich im Garagenverein, im Sportklub, in der Kleingartenanlage!
Das ist alles sehr kleinteilig und aufwändig. Und es ist sicher nicht so aufrüttelnd und aufregend, wie eine Massendemonstration mit 10, 20 oder hunderttausend Leuten.
Aber solche Massendemos, die gibt es in Deutschland nur alle 10, 15 oder 20 Jahre – zuletzt im Protest gegen Hartz IV und die Agenda 2010.
Während der letzten drei, fast ja schon vier Krisenjahre hat DIE LINKE nicht nur einmal große Demonstrationen initiieren wollen, gemeinsam mit Blockupy, Occupy, attac und wie sie alle heißen. Aber es gab keinen heißen Herbst, weder 2010 noch 11 noch 12.
Dementsprechend nützt es uns nichts, darauf zu hoffen, dass aber jetzt nun wirklich die große Protestwelle losgeht – nein, wir LINKE müssen unsere Arbeit machen und die Aufgaben erfüllen, die die BürgerInnen von uns erwarten.
Und wenn man da was ganz anderes macht, muss man sich auch nicht wundern, wenn die BürgerInnen, die erwägen, uns zu wählen, dann doch woanders ihr Kreuz machen.
Ich erinnere nochmal an die vorhin von mir vorgetragenen Ansprüche unserer WählerInnen in Niedersachsen an uns.
Die Strategie, die dann von der LINKEN eingeschlagen wurde, war eine ganz andere. Anstatt sich um die konkreten Probleme zu kümmern und dies auch zu zeigen, wurde ein Anti-Spekulanten-Wahlkampf verbunden mit Anti-Europäischen Elementen gemacht.
Als dann zwei Wochen vor der Wahl klar wurde, dass dies nichts nützt, wurde der uns allen ja sicher noch erinnerliche Knaller gezündet, dass in Niedersachsen nun Sarah Wagenknecht Verhandlungsführerin für eine Regierungsbeteiligung sein solle. Also, ganz ehrlich, öffentlichkeitswirksam war das sicher. Fraglich bleibt, ob uns das auch nur eine potentielle WählerIn abgenommen hat.
Liebe Genossinnen und Genossen,
wir müssen daraus für die Bundestagswahl schlussfolgern, dass wir unsere Erkenntnisse und Erfahrungen nicht einfach negieren dürfen.
Zwei Jahrzehnte einer kontinuierlichen, nicht immer erfolgreichen, aber doch solide stärker werdenden linken Politikentwicklung in SED-PDS, PDS, Linkspartei.PDS und nun der LINKEN bieten all die Erkenntnisse und Erfahrungen, die wir für erfolgreiche Politik, also eine erfolgreiche LINKE brauchen.
Vor diesem Hintergrund haben im Übrigen in den letzten Monaten die beiden Verhandlungsführer Klaus Bartl und Sebastian Scheel mit den anderen demokratischen Parteien im Landtag um die Veränderung der Sächsischen Verfassung gerungen.
Klaus und Sebastian haben dabei ein in meinen Augen überraschend erfolgreiches und gutes Ergebnis erzielt – nämlich dass in Sachsen nicht nur eine Schuldenbremse und ein Generationenfonds in die Verfassung aufgenommen werden sollen, sondern dass das Prinzip des sozialen Ausgleichs bei der Erstellung des Haushalte zukünftig Berücksichtigung finden muss und die Durchfinanzierung der kommunalen Aufgaben verbessert wird.
Zudem wurde die sogenannte Schuldenbremse durch die Verhandlungsleistung von Klaus und Sebastian so modifiziert, dass Sachsen zum Beispiel im Jahr 2010 ca. 800 Millionen Euro Kreditaufnahme hätte tätigen können.
Ja, ich möchte mich hier und heute für diese Leistung bei dir, Klaus und auch bei Sebastian Scheel, ganz ausdrücklich bedanken.
Ja, sicher – als Gegenleistung für die drei großartigen Verhandlungsergebnisse hätten wir dem Gesamtpaket zustimmen müssen – sonst hätten wir das ja gar nicht erreichen können. Das wäre der saure Teil des Apfels gewesen, den dieser überraschende Erfolg und Kompromiss beinhaltet hätte.
Nun haben wir, wie es sich gehört und beschlossen war, über diese Ergebnisse auf dem sogenannten „Kleinen Parteitag“ diskutiert.
Das konnten wir selbstverständlich erst, nachdem die Ergebnisse bekannt waren, bis kurz vor Verhandlungsende haben wir ja nicht mal mit solchen Resultaten gerechnet.
Auf diesem Kleinen Parteitag war nun die Debatte nahezu hälftig aufgeteilt in Pro und Contra und auch aus der Bundesebene und aus anderen Landesverbänden erreichten uns Signale, dass wir doch bitte der Schuldenbremse nicht zustimmen mögen. Ich halte diese Argumentation zwar für verkürzt, denn wir hätten natürlich einem ganzen Paket zur Verfassungsänderung zugestimmt — wie man es auch nach Tarifverhandlungen macht: Das Paket als Ganzes zu bewerten und dann zu entscheiden.
Dennoch, habe ich mich in dieser Situation dafür entschieden, dem Gremium aus Landesvorstand, Kreisvorsitzenden, Landesrat und Fraktionsvorstand vorzuschlagen, das sich die Mitglieder der Fraktion nicht an der Ausarbeitung und Einbringung eines Gesetzes in den Sächsischen Landtages, auf Grundlage der Vereinbarung vom 1. Februar, beteiligen.
Ein wenig ärgere ich mich jedoch, und das möchte ich in diesem Zusammenhang auch bemerken, über den einen oder anderen Genossen, der mir, dem Landesvorstand oder der Landtagsfraktion Klüngelwesen, Intransparenz und mangelnde Basisverbundenheit vorwirft.
Das entspricht nämlich nicht den Tatsachsen. Von Anfang an, schon bei Einstieg in die Verfassungsdebatte, wurde ein Höchstmaß an Transparenz gewählt. Landesvorstand, Landesrat, Kreisvorsitzende, Kleiner Parteitag usw. usf. wurden nicht nur durch Diskussionen und regelmäßige Informationen, sondern selbstverständlich auch durch Beschlüsse einbezogen.
Es ist schon sehr ärgerlich, wenn in diesem Zusammenhang einzelne GenossInnen ihr Süppchen kochen und vermeinen, einen tiefen Graben zwischen Basis und Gremien behaupten zu müssen.
Nicht nur ich, sondern auch meine StellvertreterInnen und viele weitere Mitglieder des Landesvorstandes, der Landtagsfraktion und unsere Bundestagsabgeordneten sind regelmäßig im Gespräch mit den Genossinnen vor Ort.
Jeder Beschluss und insbesondere jeder inhaltlich grundlegende Beschluss wird langfristig und intensiv in der Partei diskutiert. Und es gibt mehr Angebote, als am Ende von den Genossinnen wahrgenommen werden. Auf unseren Regionalkonferenzen zu den Bildungspolitischen und Sozialpolitischen Leitlinien im Jahre 2012 waren nur sehr wenige da.
Das ist nicht schlimm, aber eines will ich doch klar sagen: Wer in diesem Landesverband Sachsen der LINKEN nicht bereit ist wahrzunehmen, dass es ein breites Spektrum der Beteiligung und ein hohes Maß an Information und Transparenz gibt, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Nun ist es dennoch sicher so, dass nicht jeder Vorstand, ob nun Bundes‑, Landes‑, Kreis- oder Stadtvorstand immer alles richtig macht. Das wäre eine unsinnige Vorstellung oder Forderung. Und manchmal führt die eine oder andere Entscheidung oder Nicht-Entscheidung dazu, dass ganze Kreis- oder Stadtverbände in helle Aufregung verfallen, wenigstens jedoch einige Genossinnen und Genossen.
An einigen Orten in Sachsen hat diese Art von Aufregung, die in Dauerzustände übergegangen ist, zu sehr schwierigen Situationen geführt und meist haben die nichts, aber auch gar nichts mit Konflikten auf der nächsthöheren Ebene zu tun.
Es gibt Gliederungen in unserem Landesverband, in der die eine Hälfte der aktiven GenossInnen mit der anderen Hälfte nicht nur nicht spricht, sondern jedes Tun der jeweils anderen mit tiefstem Misstrauen begutachtet und – Überraschung – am Ende auch nur Verwerfliches findet.
Wenn ein Verband erst mal soweit ist, da hilft dann auch die kompetenteste Ombudsfrau nichts – Angela Schneider, die diese wichtige, aber doch eher undankbare Aufgabe ein paar Jahre erfüllt hat, weiß, wovon ich rede.
Wenn wir in notwendigen innerparteilichen Debatten und manchmal auch Konflikten die politische Eben verlassen und auf das Niveau von persönlichen Anwürfen hinuntersteigen, dann begeben wir uns auf einen sehr gefährlichen Weg.
Liebe Genossinnen und Genossen,
vielleicht ist ja das der Grund, warum ich als Eröffnungsredner für die heutige Veranstaltung angeheuert worden bin.
Ich beobachte mit Sorge, auch in eurem Stadtverband Tendenzen, wie ich sie gerade – vielleicht auch etwas zugespitz vorgetragen habe.
Das es mehrere Kandidaten für eine Position gibt, das ist selbstverständlich in Ordnung, keine Frage.
Worauf ich jedoch hinweisen möchte und worum ich euch bitte:
bleibt politisch!
Chemnitz ist einer unserer erfolgreichsten Kreisverbände!
DIE LINKE hat hier hervorragende Ergebnisse in den vergangenen zwei Jahrzehnten erreicht. Karli Zais hat zweimal ein Direktmandat für den Landtag gewonnen, wir haben zwei Bürgermeister gestellt und Chemnitz hat zu allen Landtags- und Bundestagswahlen überdurchschnittlich viele Stimmen beigetragen.
Die Bilanz der Chemnitzer LINKEN in den letzten zwei Jahrzehnte ist ganz hervorragend, dass darf man ja mal sagen.
Eine starke Chemnitzer LINKE ist für unseren Landesverband unverzichtbar, so einfach ist das.
Aus sicher nachvollziehbaren Gründen werde ich mich jetzt nicht über die Ergebnisse der Arbeit eurer Abgeordneten aller Ebenen auslassen.
Aber eines möchte ich euch für die kommenden Stunden dann doch noch mitgeben:
Ihr habt allen Grund, stolz auf das Erreichte zu sein.
Deshalb könnt ihr alle Fragen des heutigen Tages gelassen, nicht übermäßig emotional, auf jeden Fall vernünftig und sachlich diskutieren.
Behandelt Euch selbst mit Anerkennung und mit Würde. Geht mit euren Kandidierenden so um, dass sie keinen Schaden nehmen.
Wenn ihr Kritik an Gliederungen oder Strukturen der Partei oder parteinaher Vereine habt, dann äußert die, doch überlegt, ob der eine oder andere Kandidat für diese Kritik tatsächlich verantwortlich gemacht werden kann.
Und zeigt, dass die Chemnitzer LINKE vor allem bereit ist, einen erfolgreichen OBM-Wahlkampf zu bestreiten!
Also, es gab doch ein paar Gründe, warum ich die Eröffnungsrede halten sollte und ich stell fest:
Die Genossinnen und Genossen haben sich was dabei gedacht, mich zu bitten, die Eröffnungsrede zu halten.
Glück auf!