65. Bürgerinitiativen-Treffen
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
„mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, heißt ein bekanntes Lied von Udo Jürgens. Auch mit diesem 65. Bürgerinitiativen-Treffen ist noch lange nicht Schluss. Und Spaß daran haben Sie hoffentlich auch, denn viele von Ihnen sind schon lange mit von der Partie.
„Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss“ verkündet der Refrain des besagten Songtextes – ja, vieles ist durch Ihr Engagement vor Ort in Schuss gekommen. Sie haben alle heißen Eisen des kommunalen Lebens – von Abwasserentsorgung bis Straßenausbau – angepackt und haben auf dem weiten Feld der Kommunalabgaben für sozialverträgliche Lösungen gestritten.
Ich möchte Ihnen dafür heute ausdrücklich danken, und genauso Dank sagen will ich meiner Fraktionskollegin Andrea Roth: Liebe Andrea, Du machst Deinen Job als Organisatorin und Moderatorin dieses Treffens nunmehr 15 Jahre. Das ist sechs Jahre länger, als ich selbst Abgeordneter bin. Ich bewundere Deine Hartnäckigkeit und Leidenschaft, mit der Du das Spannungsfeld von Bürgerinitiativen und Kommunalpolitik beackerst. Das wird auch fraktions- und parteiintern nicht immer genug gewürdigt. Umso mehr möchte ich die heutige Gelegenheit nutzen – für ein öffentliches dickes Dankeschön!
Es ist oft genug vermintes Gelände, das auf den Bürgerinitiativen-Treffen beackert wird. Auch LINKE Kommunalpolitiker finden ja nicht alles toll, was Bürgerinitiativen wollen, und umgekehrt soll sich manchmal die Begeisterung von Bürgerinitiativen für die praktische Politik von LINKEN in Grenzen halten.
Nun gibt es in einer komplexen Welt keinen Gleichklang aller mit allen, und wie ich höre, sind unter Ihnen hier und heute Menschen, die sich für eine dezentrale Abwasserentsorgung einsetzen, und andere, die sich um eine zentrale Lösung bemühen. Es gibt eben nicht nur Meinungsunterschiede zwischen Nachbarn und Nachbarinnen, sondern auch verschiedene Gegebenheiten in Gemeinden und Regionen.
In einer dünnbesiedelten Gegend wird man vernünftigerweise zu anderen Lösungen kommen als in dichtbesiedelten, im Flachland sieht die Welt anders aus als in den Bergen. Als gebürtiger Erzgebirger, der jetzt in Dresden lebt, weiß ich, wovon ich spreche. In meiner alten Heimat Aue denken die Menschen über vieles anders als in der Landeshauptstadt Dresden und das nicht nur beim Fußball. Das ist nicht beklagenswert, sondern eine Bereicherung unseres Landes!
Wir als LINKE haben zwei Instrumente, mit denen wir mit all diesen – man möchte fast sagen: naturgegebenen – Unterschieden umgehen. Wir sagen: Im Zweifel muss vor Ort entschieden werden, was richtig ist. Das ist übrigens ein Grundsatz, der moderne Linke und aufgeklärte Konservative eint. Es ist das Subsidiaritätsprinzip: Wenn die unterste Ebene etwas selbst machen kann, sollte die obere die Finger davon lassen.
Dieses Prinzip ist inzwischen sogar EU-weit verankert, und wo dagegen verstoßen wird, also zum Beispiel die EU-Kommission die Befugnisse der Bundesländer missachtet, gibt es das Instrument der Subsidiaritätsrüge. So etwas ist seit neuestem sogar dank engagierter Linksfraktion Thema in Landtagsausschüssen.
Die andere Seite der Medaille ist die Frage, wer vor Ort entscheidet. Da vertreten wir unerbittlich den Standpunkt: Soviel BürgerInnenbeteiligung und Entscheidung durch die Bürgerinnen und Bürger wie möglich. Bürgerentscheide haben eine ungemein befriedende Wirkung, wie man auch in der Schweiz sieht.
Wir Politikerinnen und Politiker stellen uns die Menschen vor allem als Wahlberechtigte vor. Wir sollten in ihnen künftig StimmbürgerInnen sehen, bisher ist der Begriff vor allem in der Schweiz weit verbreitet. Wir sollten ihn in unsere Alltagssprache und unser Denken importieren.
Wie ich festgestellt habe, spricht auch der renommierte Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt gerne von den Stimmbürgern. Kein Zufall also, dass Andrea Roth mit Patzelt zusammen als Fürsprecher eine parlamentarische Initiative unserer Fraktion für die Absenkung der Hürden für Volksentscheide vorstellen konnte.
Der Mann ist bekanntlich bekennendes CDU-Mitglied. Also gibt es auch bei diesem Instrument große Schnittmengen zwischen Linken und klugen Konservativen und vielleicht ist das ja die nächste Verfassungsänderung die wir im sächsischen Parlament auf dem Weg bringen und sei es erst zu Beginn der nächsten Legislatur mit anderen Mehrheitsverhältnissen.
Leider haben die Klugen in der sächsischen CDU bisher den Status einer verfolgten Minderheit. Da die CDU seit über 22 Jahren dieses Land regiert, herrscht beim Thema BürgerInnenbeteiligung und direkte Demokratie ein Reformstau in Sachsen. Nun glaube ich nicht – um am Ende auf den Anfang meiner Rede zurückzukommen –, dass das Leben einer frischeren sächsischen Demokratie erst nach 66 Jahren anfängt, also die CDU nochmal doppelt so lange wie bisher den Freistaat regiert. Ich bin guter Dinge, dass 2014 wirklich Schluss damit ist.
Mehr will ich jetzt dazu nicht sagen, auch weil mit meiner Begrüßung jetzt Schluss sein soll, damit ich nicht dem spannenden Referenten Dr. Werner Rügemer im Weg bin. Längst legendär ist die erste gemeinsame Publikation unserer Fraktion mit diesem Autor von 1999, die den hübschen Titel „Die zweigeschossige Streuobstwiese“ trägt und natürlich auf unserer Fraktionshomepage in alle Ewigkeit verfügbar ist.
In jener Zeit war ich übrigens Stadtrat in Aue und Mitglied des Kreistages des damaligen Kreises Aue-Schwarzenberg. Als gelernter langjähriger Kommunalpolitiker empfinde ich eine besondere Sympathie für das, was Sie alle mit diesen Bürgerinitiativen-Treffen tun. Bleiben Sie Ihrem Engagement treu, Sachsen braucht Leute wie Sie.
Ich hoffe Sie haben Verständnis dafür, dass ich leider nicht bleiben kann, um erstens jetzt meinen Vaterpflichten nachzukommen und dann noch eine Beratung meiner Partei besuchen möchte.
Glück auf!