Klein-klein beim Hochwasserschutz überwinden – Flüssen mehr Raum geben, Vorhaben von 2002 umsetzen!
Erwiderung auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Tillich, „Hochwasser 2013: Helfen – wiederaufbauen – schützen. Gemeinsam für Sachsen“
Es gilt das gesprochene Wort!
Naturgewalten müssen erkenntnisfördernd sein. All diejenigen, die bei Facebook und Twitter bisher an Sodom und Gomorra gedacht haben, konnten an den Sandsack-Fronten in den Hochwasser-Krisengebieten live miterleben: Die sozialen Netzwerke sind wirklich sozial, ja sie wurden in Sekundenschnelle zu Plattformen tätiger Solidarität im realen Leben. Ich möchte an dieser Stelle all den Freiwilligen danken, die in vielen Fällen ganz spontan alles stehen und liegen ließen, um dem Ruf nach Hilfe zu folgen. Ich möchte aber auch den unzähligen Einsatzkräften danken, die nicht Dienst nach Vorschrift gemacht, sondern alles Menschenmögliche getan haben, um Schäden zu minimieren. Besondere Hochachtung gebührt denen, die mit vollem Einsatz dabei waren, obwohl sie selbst persönlich vom Hochwasser betroffen waren. Ihnen allen schulden wir aufrichtigen Dank, höchste Anerkennung und Respekt!
Ich erwarte von der Koalition, dass all ihre Danksagungen heute auch mit der notwendigen Konsequenz für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst verbunden werden und Sie morgen unserem Antrag zur Übertragung der Tarifergebnisse auf die Beamten des Freistaates Sachsen folgen.
Und bei der Soforthilfe dürfen die Vereine und sozialen Träger nicht außen vor bleiben. Sie gehören zu den sozialen Säulen unserer Gesellschaft und müssen daher umgehend in die Soforthilfe-Richtlinie mit aufgenommen werden!
Katastrophen sind die Stunde der Regierung, also der Exekutive. Das liegt in der Natur der Sache. Wenn „Land unter“ droht, kann man nicht stunden- oder gar tagelang darüber beraten und abstimmen, was jetzt vielleicht zu tun ist. Es muss sofort gehandelt werden, und dies in die Hand zunehmen, dafür sind Regierung und nachgeordnete Behörden da.
Unser Job als Parlament liegt nun in der Auswertung und Bewertung und in der Entscheidung über die Konsequenzen, die zu ziehen sind.
Herr Tillich hat zu Recht darauf verwiesen, dass das komplette Ausmaß der Schäden noch nicht exakt zu beziffern ist. Das gilt dann logischerweise auch für die politische Abrechnung mit dem Krisenmanagement. Nicht nur deshalb will ich Sie heute mit einer kleinteiligen Aneinanderreihung einzelner Pannen bei der Koordination der Hochwasserbekämpfung verschonen.
Wir haben am 10. Juni einen Antrag in den Landtag eingebracht, in dem es um unbürokratische Hilfe für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger einerseits und um einen umfassenden Hochwasserfolgen- und Ursachenanalysebericht andererseits geht.
Diese Analyse wollen wir in Ruhe mit Ihnen zusammen in den Fachausschüssen vornehmen, dazu braucht es nicht den Theaterdonner einer öffentlichen Landtagsdebatte über eine Regierungserklärung.
Ich möchte daher die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Debatte nutzen, das Augenmerk auf die aus unserer Sicht drängendsten Probleme nach dem nunmehr vierten, außerordentlichen Hochwasser-Ereignis in Sachsen binnen elf Jahren zu richten.
• Wir haben mit der sächsischen FDP eine Partei an der Regierung, die mit Klimawandel-Leugnern gemeinsame Sache macht und das auch noch für eine – ich zitiere – „Fortschrittsoffensive“ hält. Die FDP-Landtagsfraktion schreckte dabei nicht davor zurück, den europafeindlichen ehemaligen tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus als Hauptredner vor ihren Karren zu spannen. Dies ist ein Mann – ich zitiere auszugsweise „Lockes Landtag“ in der „Morgenpost“ –, der „Klimaschutz für ‘Öko-Terrorismus‘, das Parlament für lästig und die EU für überflüssig hält. Mindestens. (…) Für die Sachsen-FDP ist seine Teilnahme ein ‘Hauch großer Politik‘. Wäre Kim Jong Un gegen den Klimawandel, er würde wohl FDP-Ehrenmitglied.“ Zitatende.
Ich stelle fest: Solange in Sachsen eine solche Partei die Regierungspolitik mitprägt, wird es eine nachhaltige Hochwasser-Prävention unter Einbeziehung ökologischer Fragen nicht geben.
Mit klimapolitischen Geisterfahrern kann man die Bevölkerung nicht schützen.
• Das sehen wir gleich beim zweiten Punkt. Weil das Flutmauern-Bauen in Dresden so erfolgreich war, versank Magdeburg in der Elbe, ist eine dieser Tage häufig gehörte These. Unabhängig davon, ob ich diese These teile: Die Zeit des schlichten Mauerbauens ist vorbei. Das Hauptthema beim Hochwasserschutz muss daher sein: Den Flüssen mehr Raum geben – dies hat jetzt sogar Bundesumweltminister Altmaier erkannt! Doch stattdessen schreitet die Versiegelung der Landschaft in Sachsen trotz ständig weiter abnehmender Bevölkerung voran – täglich in der Größenordnung von sieben Fußballfeldern. Und von den 7.500 Hektar zusätzlicher Überschwemmungsfläche, die 2002 geplant wurden, sind bis heute gerade mal 111 realisiert. So geht sächsisch eben nicht – jedenfalls nicht nachhaltig!
• Herr Tillich, mit Ihnen möchte ich heute relativ freundlich sprechen. Sie haben nach meiner Wahrnehmung eine durchaus bessere Figur in den Hochwasser-Tagen gemacht als beispielsweise Ihr Amtskollege Haseloff in Sachsen-Anhalt, dessen Innenminister in Begleitung von Bodyguards die Flucht vor aufgebrachten Bürgerinnen und Bürgern ergreifen musste.– Aber: Wenn Sie sich erstaunt zeigten, wie viele Hochwasseropfer nicht durch Versicherungen geschützt waren, dann verwundert mich das sehr. Bei Ihrem „Versicherungsgipfel“ im Jahr 2010 stellte sich heraus, dass nach Angaben der Versicherungswirtschaft mindestens 17.000 potenziell von Hochwasser gefährdete Wohngebäude im Freistaat nicht versicherbar sind. Wir haben bereits im Jahr 2002 die Diskussion über eine gesetzliche Elementarschaden-Pflichtversicherung für alle Hausbesitzer angestoßen, mit der die Lasten – egal ob durch Flut oder Tornado – solidarisch auf alle verteilt und damit auf ein erträgliches Maß abgesenkt werden. Über Details kann man sicher noch reden. Dass sich aber bei diesem Thema unterm Strich bei den Regierungsverantwortlichen auf Landes- und Bundesebene in elf Jahren gar nichts bewegt hat, ist und bleibt unverständlich. Deshalb, Herr Tillich, seien Sie nicht verwundert, sondern tun Sie was, wir werden Sie dabei unterstützen!
Die Linksfraktion in unserem Nachbarland Brandenburg, die bekanntlich eine Landesregierung mit trägt, hat sich letzte Woche dem Vorschlag einer gesetzlichen Elementarschaden-Versicherung angeschlossen; ich wünsche mir, dass sich auch die sächsischen Koalitionsfraktionen bewegen!
• Punkt 4: Ja, es mag einzelne Leute geben, denen ihre schöne Aussicht mehr wert ist als der Hochwasserschutz für die örtliche Gemeinschaft. Das ist ärgerlich genug. Ich warne allerdings davor, pauschal alle Kritiker konkreter Maßnahme an den Pranger zu stellen. Erstens gibt es inzwischen schon Medienberichte über nachweislich zu Unrecht öffentlich Beschimpfte, zweitens darf ich nicht in einem Rechtsstaat Leute anprangern, die Gesetze nutzen, die sie selbst gar nicht gemacht haben. Drittens, und das ist mir das Allerwichtigste: Der kritikwürdige Einzelfall darf nicht davon ablenken, dass dem Freistaat Sachsen immer noch ein nachhaltiges Gesamtkonzept fehlt. Schon General von Kirchbach forderte vor zehn Jahren in seinem Bericht der „Unabhängigen Kommission der Sächsischen Staatsregierung zur Flutkatastrophe 2002“: Die Verantwortung für Deiche, Talsperren, Rückhaltebecken und Gewässerpflege im Hochwasserschutz muss in eine Hand gelegt werden. Genau das aber ist NICHT geschehen. – Wir fordern heute, erneut zu prüfen, inwieweit flussgebietsbezogene Wasserdirektionen eingerichtet werden können, die alle in einem Einzugsgebiet befindlichen Gewässer bei Hochwasser-Managementplänen einbeziehen und notwendige Hochwasser-Schutzmaßnahmen gebündelt umsetzen.
• Dazu passt Punkt 5: Zum Klein-Klein innerhalb des Landes gesellt sich leider die Kleinstaaterei bei der Hochwasser-Bekämpfung insgesamt. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde der Bund aus dem Hochwasser-Schutz raus gedrängt, und nun hat die Elbe die ganze neue föderale Ordnung bei diesem Thema ad absurdum geführt, um nicht zu sagen: hinweggeschwemmt. Hier gehört eine Korrektur sofort auf die Tagesordnung:
Dass jedes Elb-Anrainer-Bundesland seine Deichhöhe selbst festlegt und dass das Wohl und Wehe der Bevölkerung am Ende davon abhängig ist, ob im Landeshaushalt ausreichend Geld für Hochwasserschutz vorhanden ist oder welcher Landes-Innenministern für sie zuständig ist und ob dieser mit seinen Amtskollegen elbaufwärts rechtzeitig telefoniert – dieser Irrsinn muss vor der nächsten Flut beseitigt sein!
• Das akut Allerwichtigste: Die Hilfe für die Betroffenen. Mit bis zu acht Milliarden Euro wollen Bund und Länder helfen. Unsere Bundestagsfraktion hatte mindestens zehn Milliarden für diesen Zweck verlangt – Sie sehen, wir sind da für unsere Verhältnisse alle ziemlich nah beieinander. Gut, dass wir Bundestagswahljahr haben – Pech für die Betroffenen der Extremhochwässer 2010, das kein Wahljahr war. Das meine ich nicht zynisch, aber wir müssen langfristig Hilfs- und Vorsorgemodelle finden, deren Logik ausschließlich von Not und nicht von politischer Opportunität abhängig ist. Deshalb unterstützen wir die Idee einer nationalen Hochwasserkonferenz, die der Ostkoordinator unserer Bundestagsfraktion vorgeschlagen hat.
• Damit komme ich zum letzten Punkt. Ich bitte darum, von „Neuaufbau“ zu sprechen, nicht pauschal von „Wiederaufbau“, so wie es der Ministerpräsident gerade in seiner Regierungserklärung getan hat. Städte wie Grimma und Meißen, um zwei stellvertretend zu nennen, haben historische Wurzeln, um derentwillen tatsächlich weiter Schutzmauern gebaut werden müssen. Dabei zeigt aber das Beispiel Meißen, dass selbst der bestmögliche Hochwasserschutz vor Ort etwaigen Schaden eindämmen, aber nicht vollständig verhindern kann. Hier ist eine Absenkung des Elbpegels durch mehr Überflutungsflächen die einzige Lösung – dabei müssen wir uns bewusst werden, dass dies natürlich Entschädigungszahlungen vor allem an Landwirte bedeutet. – Nicht alles aber sollte wieder aufgebaut werden – Öltanks zum Beispiel haben im Keller von hochwassergefährdeten Häusern nichts zu suchen. Bis heute erteilen Städte und Gemeinden Baugenehmigungen in potenziellen Flutzonen – hier muss das 2002 angemahnte Umdenken mancherorts noch nachgeholt werden.
Ich möchte mich bei Ihnen Herr Staatskanzleichef Beermann ausdrücklich für die kollegiale Information in den Tagen des Hochwassers bedanken. Das ist Ausdruck intakter politischer Kultur, die wir uns für die Zeit nach dem Hochwasser bewahren sollten.
Die Menschen haben mit selbstloser Solidarität unter Beweis gestellt, dass sie keine Ellbogengesellschaft wollen. Diesem guten Beispiel der Bevölkerung sollten wir hier im Landtag folgen, der Öffentlichkeit den üblichen Schlagabtausch ersparen und gemeinsam sachlich nach Lösungen suchen, um das Land künftig noch wirkungsvoller vor solchen Heimsuchungen zu schützen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.