Rede in der Debatte vor der Abstimmung über das Verfassungsänderungsgesetz: Staatsausgaben ordentlich über Steuern finanzieren – Landesverfassung

<em>Es gilt das gesproch­ene Wort!</em>

Ob ein Land in guter Ver­fas­sung ist, hängt maßge­blich von ein­er guten Ver­fas­sung und einem guten Ver­fas­sungs­gericht ab. Die dama­lige PDS hat­te aus ver­schiede­nen Grün­den der Lan­desver­fas­sung nicht zuges­timmt, was uns ja gern von kon­ser­v­a­tiv­er Seite vorge­hal­ten wird, obwohl einst die CSU sog­ar gegen das Grundge­setz votierte, ohne sich dafür heute noch recht­fer­ti­gen zu müssen.Jedenfalls haben wir inzwis­chen mit weit mehr als einem Dutzend erfol­gre­ich­er Kla­gen vor dem Leipziger Ver­fas­sungs­gericht­shof die Erfahrung gemacht, dass die säch­sis­che Ver­fas­sung ein gutes Instru­ment ist, die Regierung auf die Ein­hal­tung wichtiger Grun­drechte zu verpflicht­en. Deshalb haben sich Abge­ord­nete der LINKEN aus Überzeu­gung in Ver­hand­lun­gen über eine Weit­er­en­twick­lung dieser Ver­fas­sung begeben. Das The­ma, mit dem wir uns heute beschäfti­gen, bewegt auch die Wis­senschaft. Deshalb ges­tat­ten Sie mir, dass ich mich ein­gangs auf eine wirtschaftswis­senschaftliche Autorität berufe, die sich mit kap­i­tal­is­muskri­tis­chen Alter­na­tivkonzepten einen Namen gemacht hat: Prof. Rudolf Hick­el, bekan­nt­ge­wor­den auch als Mither­aus­ge­ber des jährlichen Gegengutacht­ens zum Sachver­ständi­gen­rat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwick­lung. Prof. Hick­el hat­te sich am 6. Feb­ru­ar dieses Jahres – also wenige Tage nach­dem auch ich die Ver­ständi­gung über eine Ver­fas­sungsän­derung für Sach­sen unter­schrieben habe – in der Bremis­chen Bürg­er­schaft als Sachver­ständi­ger in ein­er Anhörung zur Frage der Auf­nahme ein­er „Schulden­bremse“ in die Lan­desver­fas­sung geäußert. <!–more–>

Ich zitiere die für mich entschei­dende Pas­sage aus seinem State­ment: „Sicher­lich müsste das Land Bre­men auch ohne die Auf­nahme der Schulden­bremse in die bremis­che Lan­desver­fas­sung die Vor­gaben des Grundge­set­zes umset­zen. Die geplanten Regelun­gen zur Real­isierung der Schulden­bremse im Rah­men der Lan­desver­fas­sung sind drin­gend erforder­lich. Das Land Bre­men ist in der Lage, die eige­nen Regelun­gen zu präzisieren.“ Zitat Ende.

Genau darum ist es auch der Ver­hand­lungs­gruppe mein­er Frak­tion mit Blick auf Sach­sen gegan­gen. Die von mein­er Frak­tion in die Ver­hand­lungskom­mis­sion entsandten Abge­ord­neten Klaus Bartl und Sebas­t­ian Scheel haben die Möglichkeit wahrgenom­men, an solchen eige­nen Regeln des Lan­des — im Inter­esse der Bevölkerung in Sach­sen — aktiv mitzuwirken. Dabei haben sie etwas erre­icht, wie uns bei der Sachver­ständi­ge­nan­hörung zu den geplanten säch­sis­chen Ver­fas­sungsän­derun­gen bescheinigt wor­den ist.

Wie Sie wis­sen, ist das Soziale das Marken­ze­ichen der LINKEN, und daher haben wir dafür gesorgt, dass kün­ftig bei der Auf­stel­lung des Lan­deshaushalts neben Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Maßstab des sozialen Aus­gle­ichs gle­ich­berechtigt berück­sichtigt wer­den muss.

Prof. Dr. Joachim Wieland, Rek­tor der Deutschen Hochschule für Ver­wal­tungswis­senschaften Spey­er, sagte zu dieser Bes­tim­mung, sie sei – ich zitiere – „auch notwendig. Weil Sie sagen, wir wollen prak­tisch die solide Haushalt­spoli­tik darüber führen, dass wir die Aus­gaben beschränken, brauchen Sie auch ein Stück weit ein Gegengewicht.“ Ja, es sei – ich zitiere – „die ver­fas­sungsrechtliche Verpflich­tung auf den sozialen Aus­gle­ich wichtig, weil so ver­hin­dert wird, dass vor­rangig oder sog­ar auss­chließlich Sozialleis­tun­gen gekürzt wird, damit ein struk­turell aus­geglich­en­er Haushalt gesichert wird. Das kann auch ver­fas­sungsrechtlich über­prüft wer­den.“ Zitat Ende.

Damit hat „unser“ Ver­fas­sungsar­tikel sein Güte­siegel bekom­men. Es ist damit auch aus berufen­em Munde fest­gestellt, dass es sich hier nicht um Sym­bol­poli­tik han­delt. Sach­sen nimmt als erstes Bun­des­land den sozialen Aus­gle­ich als Haushalts­grund­satz in seine Lan­desver­fas­sung auf – darauf sind wir stolz! Im Übri­gen, so geht säch­sisch tat­säch­lich!

Ich will hier nicht alle Details der Behand­lung des Geset­zen­twur­fes seit der 1. Lesung aufzählen. Dazu wird mein Frak­tion­skol­lege Klaus Bartl noch sprechen.

Bei der 1. Lesung, am 8. Mai haben Sie, die Frak­tionsvor­sitzen­den der demokratis­chen Frak­tio­nen, bei mein­er Frak­tion um Zus­tim­mung zum vorgelegten Geset­zen­twurf gewor­ben. Der stattge­fun­dene Beratungsablauf war lei­der oft nicht von angemessen­em Respekt gegenüber der Bedeu­tung des The­mas getra­gen. Das bedauere ich sehr, weil meine Frak­tion ohne­hin den größten kul­turellen Kraftakt zu stem­men hat­te. Und es ist immer­hin die erste Änderung der Ver­fas­sung seit ihrem Inkraft­treten im Jahre 1992.

Mir geht es um den Geset­zes­text selb­st, der sin­ngle­ich mit dem Doku­ment der Ver­ständi­gung ist, unter das ich am 1. Feb­ru­ar meine Unter­schrift geset­zt habe und für das ich dann in Frak­tion und Partei gewor­ben habe.

Wir haben zusam­men mit der SPD für einen umfassenden kom­mu­nalen Mehrbe­las­tungsaus­gle­ich gestrit­ten. Auch dazu darf ich den Sachver­ständi­gen Prof. Wieland zitieren: „Das erk­lärt auch, warum Sie die Kom­munen absich­ern. Sie kön­nen nicht darin auswe­ichen, dass Sie sagen, wir sanieren den Lan­deshaushalt zulas­ten der Kom­munen.“ Zusam­men­fassend sagte Prof. Wieland: Zitat: „Ich ver­ste­he den sozialen Rechtsstaat so, dass sozialer Aus­gle­ich auch in Notzeit­en gewährleis­tet wer­den muss.“

Ich will auch heute nicht um den heißen Brei der Schulden­bremse herum­re­den. Wir sind und bleiben Geg­n­er der Schulden­bremse im Grundge­setz, deren ungeachtet Kan­z­lerin Merkel ger­ade mit aller­lei Wahlver­sprechen um sich wirft. Wir sind und bleiben Geg­n­er ein­er neolib­eralen Finanz- und Wirtschaft­spoli­tik, die Europa in den let­zten Jahren an den Rand des Abgrun­des geführt hat. Und wir sind und bleiben Geg­n­er ein­er kon­ser­v­a­tiv­en Dop­pel­moral in Sach­sen, wo die Staat­sregierung erst die Lan­des­bank im Speku­la­tion­ssumpf versenkt, einen Mil­liar­den­schaden verur­sacht und sich hin­ter­her mit dem The­ma „Neu­ver­schul­dungsver­bot“ als Hüterin solid­er Finanzpoli­tik auf­spielt.

Deshalb kon­nten wir Ihnen auch nicht ers­paren, sich heute noch in ein­er Aktuellen Debat­te mit den Fol­gen des Zusam­men­bruchs der Sach­sen Lan­des­bank beschäfti­gen zu müssen. Immer­hin wurde für die Abwick­lung des Mil­liar­den­schadens auf Steuerzahlerkosten die erste Bad Bank Deutsch­lands gegrün­det. Ich glaube nicht, dass diese Leis­tung heute noch irgend­je­man­den mit Stolz erfüllt.

Liebe Kol­legin­nen und Kol­le­gen,

es gehört zum Wesen von Ver­hand­lun­gen, dass jed­er anders raus­ge­ht, als er hineinge­gan­gen ist. Die Koali­tion wollte ein hartes Neu­ver­schul­dungsver­bot – das wird es nicht geben. Es wird auch kün­ftig Kred­ite geben kön­nen, nicht nur im Katas­tro­phen­fall, son­dern auch wenn dies auf­grund von erwarteten Steuer­aus­fällen notwendig ist. Wir soll­ten allerd­ings alle gemein­sam weniger über Staatskred­ite und mehr über Staat­sein­nah­men sprechen. Ich weiß, dass der kleinere Regierungskoali­tion­spart­ner auf diesem Ohr taub ist, aber es hil­ft nichts, wenn wir bei der Auf­stel­lung öffentlich­er Haushalte kün­ftig weit­ge­hend auf Kred­ite verzicht­en wollen, dann brauchen wir für die Finanzierung des Gemein­wohls neue Geldge­ber.

Nun sind wir uns einig darin, dass wir nicht den Durch­schnittsver­di­enern und dem Handw­erksmeis­ter von nebe­nan ans Porte­mon­naie wollen – diese Men­schen sind schon genug von Abgaben belastet. Aber die Reichen, die sich bish­er gegenüber dem Finan­zamt geschickt arm rech­nen durften – sie sind eine bessere Ein­nah­me­quelle für den Staat als Kred­ite von Banken, die wir wom­öglich am Ende wieder mit Steuergeldern ret­ten sollen. Insofern ist auch meine Posi­tion: Unsere Schulden­bremse heißt Mil­lionärss­teuer!

Deshalb erwarte ich, dass sich all diejeni­gen, die heute diese Ver­fas­sungsän­derun­gen mit­tra­gen, mit uns gemein­sam für eine solide Ein­nah­me­ba­sis des Staates ein­set­zen. Wenn Sach­sen sich wirk­lich bun­desweit glaub­würdig als Vor­re­it­er solid­er Finanzpoli­tik pro­fil­ieren will, dann ist dies die zweite Seite der Medaille! Oder mit den Worten von Prof. Hick­el in seinem besagten State­ment: Die Schulden­bremse erhöht – ich zitiere – „den Druck, ordentliche Aus­gaben kün­ftig auch ordentlich über Steuern zu finanzieren.“

Damit bin ich beim Stich­wort für die Fort­führung der Ver­fas­sungs­de­bat­te. Am 28. März 2012 erk­lärten die Vor­sitzen­den der fünf demokratis­chen Frak­tio­nen: „Vor­läu­figer Ver­hand­lungs­ge­gen­stand ist das The­ma Neuverschuldungsverbot/Schuldenbremse. (…) .“ Zita­tende. Auch wenn ich damals noch nicht Frak­tionsvor­sitzen­der war und deshalb nicht an dieser Runde teilgenom­men hat­te, ist der poli­tis­che Wille ein­deutig: Die Änderung der Finanzver­fas­sung, über die wir heute abstim­men, sollte nicht das Ende son­dern der Beginn ein­er Ver­fas­sungs­de­bat­te sein.

Liebe demokratis­che Frak­tio­nen, ich lade Sie her­zlich dazu ein, nach der Som­mer­pause gemein­sam kon­struk­tiv weit­erzu­machen. Herr Flath, Sie wollen eine Verkleinerung des Land­tags. Wir wollen u.a. eine Absenkung des Wahlal­ters, die Ein­fü­gung von grundle­gen­den Recht­en für Kinder und Jugendliche und weit­ere Konkretisierun­gen des Sozial­staat­sprinzips. Andere Frak­tio­nen haben weit­ere Ideen, die wir eben­so ern­sthaft prüfen soll­ten.

Meine Damen und Her­ren, liebe Kol­legin­nen und Kol­le­gen,

in Glaubens­fra­gen ist die Gewis­sens­frei­heit des Einzel­nen das höch­ste Gut. Die heute zur Abstim­mung ste­hen­den Ver­fas­sungsän­derun­gen berühren nicht nur Fun­da­mente des Staates, son­dern auch Grundüberzeu­gun­gen der einzel­nen Abge­ord­neten. Deshalb sollte jede und jed­er nach bestem Wis­sen und Gewis­sen entschei­den – so hat es unsere Frak­tion für sich beschlossen.

Ich gehe davon aus, dass auch andere Frak­tio­nen ihren Abge­ord­neten diese Frei­heit geben. Damit wird der heutige Tag als ein guter Tag für die säch­sis­che Demokratie in die Geschichte einge­hen.

Ich komme zum Schluss: Es ist die bish­er schwierig­ste poli­tis­che Entschei­dung meines Lebens, aber ich denke, dass sie richtig ist und den Men­schen in Sach­sen dient. Der Abge­ord­nete Geb­hardt hat für sich entsch­ieden. Ich werde nach umfänglich­er Abwä­gung aller Argu­mente bei der Schlussab­stim­mung mit „Ja“ votieren. – Glück auf!