Rede zur Sachseninitiative für eine Europäische Sozialunion am 28. November 2013 im Landtag
-es gilt das gesprochene Wort-
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
in ihrer Koalitionsvereinbarung haben sich CDU und SPD auf Bundesebene im Abschnitt Europa schon in einer der Überschriften zu einem lobenswerten Grundsatz bekannt:
„Soziale Dimension stärken“. Wie schön für Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen von CDU und SPD hier im Sächsischen Landtag, dass Sie dank unseres Antrags schon einen Tag nach der Vorstellung des Koalitionsvertrages in Berlin die Chance haben, Ihren ersten sächsischen Beitrag zu seiner Verwirklichung zu leisten.
Unser Antrag lautet „Sachseninitiative für eine notwendige Weiterentwicklung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion hin zu einer Europäischen Sozialunion.“
Bevor nun die wirtschaftsliberalen Hardliner der letzten schwarz-gelben Koalition Deutschlands ihren gewohnten Beißreflexen verfallen, möchte ich Sie gleich beruhigen:
Wir wollen Ihnen nicht mit einem Manifest unserer schönsten Wünsche auf die Nerven gehen, sondern berufen uns auf die EU-Kommission.
Das passiert ja nicht alle Tage, steht doch diese Kommission in der Öffentlichkeit im Verdacht, sich mehr der Zwangskrümmung von Gurken und Bananen zu widmen als den tatsächlichen Lebensfragen unserer Tage. Jedoch ist das nicht die ganze Realität, auch wenn die Europaskeptiker von FDP bis AfD einseitig am Bild eines bürokratischen Monstrums arbeiten.
Tatsächlich gibt es eine „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Stärkung der sozialen Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion.“ – Wir haben Ihnen diese Mitteilung an unseren Antrag anhängen lassen, damit Sie selber nachlesen können.
In dieser Mitteilung geht es um nicht weniger als flächendeckende soziale Standards, die durchgesetzt werden sollen, damit die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union in Sicherheit leben können.
Die Europäische Union gibt auch gleich klare Kriterien für die Erfolgsmessung vor:
- Arbeitslosenquote – da hat Sachsen wie Ostdeutschland noch viel zu tun, vor allem auch bei älteren und Langzeitarbeitslosen;
- Jugendarbeitslosigkeit: Nun, dieses Problem hat Sachsen zwei Jahrzehnte lang durch massenhafte Auswanderung vor allem nach Westdeutschland und ins deutschsprachige Ausland gelöst, zugleich haben wir die älteste Bevölkerung aller Bundesländer;
- Haushaltsbruttorealeinkommen – Niedriglohn und niedrige Kaufkraft sind typisch für Sachsen, weil die von der CDU geführten Landesregierungen genau dies als vermeintlichen Standortvorteil missverstanden haben – Folge sind zunehmender Fachkräftemangel und zu niedrige Produktivität der Wirtschaft;
- Armutsgefährdungsquote: Auch hier ist Sachsen in Deutschland überdurchschnittlich – im negativen Sinne;
- soziale Ungleichheit: Sie ist in Sachsen sogar eine doppelte, eine krasse soziale und regionale Ungleichheit, beispielsweise zwischen einer wachsenden Landeshauptstadt und ausblutenden Regionen abseits der Metropolen.
Die soziale Schieflage innerhalb der EU spiegelt sich also in Sachsen wider – insofern sollte sich gerade die bei uns noch regierende konservative Politik vom Weckruf der Europäischen Kommission angesprochen fühlen.
Es kann und wird Sachsen nur gut gehen, wenn es Europa gut geht!
Natürlich ist auch die EU-Kommission nicht deshalb sozialpolitisch so mitteilsam geworden, weil dort der Sozialismus ausgebrochen ist, wie sich wahrscheinlich Herr Zastrow in seiner Schwarz-Weiß-Welt denkt. Sie hat schlicht die Realität zur Kenntnis genommen: Mit Schaufensterpolitik wie Sondergipfeln zur Jugendarbeitslosigkeit kommt man nicht weiter. Die EU braucht mehr soziale Substanz!
Das gilt übrigens auch für Deutschland und Sachsen. Alle unsere wirtschaftlichen Exporterfolge nützen uns nämlich langfristig gar nichts, wenn sie auf sozial tönernen Füßen stehen und uns dann die Welt um die Ohren fliegt, auf deren Kosten wir diese Erfolge erzielt haben.
Ob wir wollen oder nicht: Gesetze ohne Sanktionen sind wohl zur relativen Wirkungslosigkeit verdammt.
Es ist ja nicht so, dass in der EU das Soziale keine Rolle spielt, es wurde von Anfang an immer irgendwie mitgedacht. Aber viel zu unverbindlich. Wir haben Sanktionen für alles Mögliche, zum Beispiel fehlende Haushaltsdisziplin, bei Hartz IV-EmpfängeriInnen.
Nur unsoziale, ja teilweise geradezu asoziale Politik bleibt straflos, so wie wir erst gestern hier im Plenum im Zusammenhang mit den ehemaligen verantwortliche der Landesbank erfahren haben.
Auf europäischer Ebene erleben wir seit Jahren ein schauderhaftes Spektakel von dreistelligen Milliardenrisiken für die Allgemeinheit, damit Banken und ihre überbezahlten Manager trotz abenteuerlicher Fehlspekulationen ihre soziale Hängematte auf königlichem Niveau garantiert bekommen. Die Jugendlichen in Griechenland oder Spanien sehen dagegen alt aus – und ergreifen verzweifelt die Flucht auf den Arbeitsmarkt besser gestellter Länder.
So geht weder sächsisch noch europäisch!
Nach dem „Eurobarometer“ vom August dieses Jahres, einer EU-weiten Meinungsumfrage, hat für drei Viertel der Menschen in Europa die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit absolute Priorität. Interessanterweise fühlen sich zwei Drittel aller Befragten nicht nur national, sondern auch mehr oder weniger europäisch.
Die Menschen in Sachsen und Europa wissen, dass es kein Zurück zu nationalen Lösungen gibt – bis zu FDP und AfD hat sich diese Wahrheit leider noch nicht herumgesprochen.
In dem schon erwähnten Eurobarometer kann man aber auch nachlesen:
Das es nach Ansicht der EU- BürgerInnen immer noch zuerst um die soziale Stabilität in der EU gehen muss und nicht zuerst um die Rettung von Banken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bedürfnisse und Prioritäten der Menschen in Europa müssen von uns Politikerinnen und Politikern ernst genommen werden, um Parteien wie der NDP und der AfD die Grundlage ihre Politik zu entziehen.
Es gibt noch eine Parallele zwischen Sachsen und Europa: Die überwältigende Mehrheit der Menschen will den gesetzlichen Mindestlohn. Und zwar einen richtigen gesetzlichen Mindestlohn. Jetzt!
Eigentlich müsste es ein fraktionsübergreifendes Interesse an einer vertieften Behandlung des Themas dieses Antrages in den Ausschüssen geben. Das ist die Nagelprobe für die Europafähigkeit des Sächsischen Landtags. Neben dem historischen Friedensprojekt muss die soziale Dimension als weiterer Stützpfeiler einer lebendigen europäischen Idee gestärkt werden.
Was die Staatsregierung ganz konkret im Bundesrat und anderen Gremien schon in den nächsten Tagen für ein soziales Europa machen kann und was das rückwirkend für Sachsen praktisch bedeutet, erklärt Ihnen in der nächsten Runde Klaus Bartl, es bleibt also interessant.