Gedenkveranstaltung am 7. Mai 2014 in Leipzig
Vor 75 Jahren setzte das faschistische Deutschland die Welt in Brand.
Vor 75 Jahren, das klingt vielleicht für die jüngeren sehr lang her.
Und doch sind noch viele unter uns, die damals schon gelebt haben, die als Kinder, als Jugendliche oder auch als junge Erwachsene den Krieg am eigenen Leibe erlebt haben.
Die deutschen Nazis haben einen Krieg begonnen, der fast ganz Europa und große Teile der Welt in Schutt und Asche gelegt hat, durch den aber-Millionen Menschen getötet wurden, der unsägliches Leid brachte.
Der durch Nazi-Deutschland gewollte und geführte 2. Weltkrieg war verbunden mit dem Willen, die Zivilisation, wie wir sie wollen, zu zerstören.
Nationaler Wahn, völkisches Überlegenheitsdenken und Weltherrschaftsstreben beschreiben dabei nur ungenügend den damaligen Zivilisationsbruch. Denn es ging um Vernichtung und Versklavung aller, die nicht der herbeiphantasierten Herrenrasse angehörten.
Es ging um die Errichtung einer Welt, in der ausschließlich die Gewalt alle Verhältnisse bestimmen sollte.
Die Ermordung der europäischen Juden und von Abermillionen Angehörigen anderer Menschengruppen wird und muss auf immer in das Gedächtnis der Menschheit eingebrannt bleiben.
Das bis dahin undenkbare Menschheitsverbrechen wurden durch Nazi-Deutschland mögliche.
Jeder Tag der Befreiung, den wir begehen erinnert uns deshalb immer vor allem an eine Aufgabe, die unser tägliches Handeln bestimmt, und diese Aufgabe lautet: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“
Nazideutschland musste das Mordwerkzeug aus der Hand geschlagen werden.
Der antifaschistische Widerstand in Deutschland wurde brutal unterdrückt, die Widerstandskämpfer ermordet und eingekerkert.
Deutschland war nicht in der Lage, aus eigener Kraft in den Kreis der Zivilisationen zurückzukehren. Deshalb ist der Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 nicht nur dem Gedenken und dem Dank gewidmet.
Sondern er ist auch die immer aktuelle Aufforderung an alle, gegenüber menschenverachtendem Denken, gegenüber Faschismus, Rassismus und Unterdrückung, gegen alte und neue Nazis nie wieder schwach zu sein.
Deshalb ist Antifaschismus für mich nicht nur auf Gedenktage beschränkt, sondern Alltagsgebot. Er zeigt die Verbindung von Geschichte und Gegenwart: Erst in der vergangenen Woche habe ich in Plauen als einer von vielen gegen einen Naziaufmarsch protestiert.
Wie immer ging es darum, die geistigen Söhne und Töchter der Verbrecher von damals nicht unwidersprochen gewähren zu lassen. Wieder haben sie versucht, die Terrorherrschaft ihrer Vorbilder, deren irrsinnige Menschheitsverbrechen zu relativieren, die Opfer zu verhöhnen, neuen Hass zu säen.
Dem zu widersprechen, das schulden wir nicht nur den Millionen Toten. Wir schulden es auch allen, die unfassbare Opfer gebracht haben, damit wir heute in einer Welt leben können, in der Faschisten zwar existieren, es aber schwer haben, jemals wieder nennenswerte Macht zu erringen, zumindest in den allermeisten Nationen.
Die Befassung mit Geschichte muss von unten wachsen, ist an erster Stelle Aufgabe jeder und jedes einzelnen und nicht von staatlichen Stellen. Geschichtsbilder lassen sich nicht von oben verordnen. Auch das ist eine der vielen Lehren, die wir aus der Existenz des Unrechtsregimes ziehen müssen, dessen Niederschlagung wir heute hier gedenken.
Trotz aller persönlichen Verarbeitung dessen, was war, muss das Geschehene als Mahnung für Gegenwart und Zukunft im kollektiven Gedächtnis festgehalten werden.
Bei allen Kämpfen um die Deutungshoheit über geschichtliche Prozesse, über Verbrechen und seine Niederringung ist eines sehr bedeutsam:
Die Erinnerung an die vielen kaum oder nicht bekannten Einzelschicksale, die in keinem Geschichtsbuch stehen, die Erinnerung an all die vielen Menschen in allen Landesteilen, die nicht geschwiegen, nicht passiv geblieben sind, sondern Leben gerettet, sich eingemischt, ihren Teil dazu beigetragen haben, den deutschen Faschismus zu bezwingen.
Im nächsten Jahr wird das Kriegsende siebzig Jahre zurückliegen, was uns unerbittlich vor Augen führt: Die Zeitzeugen werden weniger, in nicht allzu ferner Zukunft wird niemand mehr unter uns weilen, der die Gräuel erlebt hat. Umso wichtiger ist es, alle Chancen und Wege zu nutzen, um Erfahrungen und Berichte für die Nachwelt zu konservieren, um Schicksale aufzuklären. Das ist in der Tat eine staatliche, eine öffentliche Aufgabe. Aufgrund des aktuellen Bezuges will ich nur ein Beispiel aus vielen Projekten und Initiativen herausgreifen:
Die Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten in Dresden leistet im Auftrag der Bundesregierung verdienstvolle Forschungsarbeit zum Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener. Sie erteilt vor allem Familienangehörigen, Freunden und Wissenschaftlern Auskunft zu Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen Sowjetrepubliken, die in Gefangenenlagern und Arbeitskommandos in Sachsen umgekommen sind. Allerdings ist die Finanzierung dieses Projektes nur bis zum Ende dieses Jahres gesichert. Das muss geändert werden, hier ist die Staatsregierung gefragt – nicht zuletzt im Interesse einer dauerhaften Versöhnung sich ehemals feindlich gegenüberstehender Nationen, meine Fraktion wird dies noch in diesem Monat im Sächsischen Landtag thematisieren.
Versöhnung – das bringt mich abschließend zum Brückenschlag ins Jetzt, denn wer über Geschichte redet, sollte die Gegenwart im Blick haben. Die Welt schaut auf die Ukraine. Die dramatische Lage und der dort drohende Bürgerkrieg zeigen, wie wichtig es ist, dass Staaten und Interessengruppen Konflikte friedlich lösen können.
Wie so oft werden Parallelen zur Vergangenheit gezogen, einfache Feindbilder bemüht.
Dabei sind die Kriege und Konflikte von heute komplex und werden komplexer, und es gibt nicht den „einen Verantwortlichen“.
Deshalb steigen auch die Anforderungen an Regierungen, die in der Verantwortung stehen, zur Deeskalation beizutragen. Die deutsche Regierung macht dabei eine überaus schwache Figur.
Ich wünsche uns allen viel Kraft im weiteren Kampf gegen jene, die den heutigen Tag nicht als Tag der Befreiung sehen, sondern ihn zum Tag der Niederlage, vielleicht sogar der Schande umdeuten wollen.
Und ich wünsche Ihnen und uns allen dauerhaften Frieden.
Dafür gilt es zu kämpfen, an jedem Tag, auch heute.