Eingangsvortrag beim VSW zur Diskussion Landtagswahlen 2014 am 20. Mai 2014
Sehr geehrter Finger,
sehr geehrter Herr Winkler,
sehr geehrte Damen und Herren,
welch weise Entscheidung bei der Planung der Spitzenkandidaten-Gesprächsrunden, mit mir anzufangen und mit Herrn Tillich aufzuhören. Wir beide – und mehr noch unsere Parteien — sind die Klammer, die den Landtags-Wahlkampf 2014 zusammenhält: Tillich steht für die was 1990 neu war und jetzt alt ist. Ich stehe für das was 1990 alt war und jetzt neu ist.
„Vor unserem Land liegen ähnlichen Herausforderungen wie 1990.“ Das sagen Sie als Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft zusammen mit dem Sächsischen Landkreistag.
Das unterschreibe ich.
Auch die Aussage, „dass der Anpassungsdruck vergleichbar gravierend ist.“
Das gilt natürlich nicht nur für Sachsen. Gleichwohl leben wir nicht auf einer sächsischen Insel der Seligen, deshalb eingangs Bemerkungen zu den zentralen bundespolitischen Aufregerthemen, die Sie sicherlich und wahrscheinlich auch viele andere Menschen in Sachsen bewegen.
• RENTE. Wir sind für die Rente mit 65, nicht mit 63. Wir waren gegen die pauschale Anhebung auf 67, weil wir nicht glauben, dass es uns weiterhilft, wenn Dachdecker, Maurer und Kranfahrer in diesem Alter noch Baustellen in Gang halten müssen.
Gleichzeitig gibt es viele Menschen, die länger im Beruf bleiben können und dies auch wollen. Auch das sollte Politik besser als bisher möglich machen. – Unser heutiger Moderator Herr Eggert ist ja mit seinen gerade 68 ein schönes Beispiel für nützliche und sinnstiftende Arbeit jenseits der Rentenaltersgrenze.
Die doppelte Herausforderung demografische Entwicklung plus Fachkräftemangel sollte uns generell offener für die Bereitschaft von Menschen machen, ihre Erfahrungen länger als bisher üblich in Produktion und Dienstleistungen einzubringen.
Das Thema Rente demonstriert schön, dass LINKE nicht einfach eine Art SPD2 („SPD hoch 2“) sind. Wir wollen eine andere Finanzierung des Rentensystems, nämlich wie in der Schweiz die solidarische Beteiligung der gesamten Bevölkerung an den Beiträgen. Zweitens muss eine gesellschaftspolitische Entscheidung wie die Mütterrente dann auch gesamtgesellschaftlich aus dem Steuertopf finanziert werden – das hat von der Logik her nichts mit dem Beitragssystem zu tun.
• ENERGIEWENDE BZW. EEG. Ich sage ganz offen: Im Unterschied zu Ihrem Papier „Sachsen 2020“ sehe ich keine Gefahr der Diskriminierung der Braunkohle, der wir entgegentreten müssten. Braunkohleverstromung ist keine Brückentechnologie, wie der Ministerpräsident sagt, sondern ein Auslaufmodell der Energieerzeugung.
Massiv diskriminiert wird dagegen die in Sachsen traditionsreiche Wasserkraft, deren Betreiber zu einer Wasserentnahmeabgabe herangezogen werden. Die Braunkohle-Konzerne dagegen sind von dieser und anderen Abgaben befreit, die sozialen und ökologischen Folgen der Verwüstung ganzer Landschaften werden der Allgemeinheit übergeholfen.
Mittelstandsfreundlich ist genau das nicht, denn je dezentraler wir die Energieversorgung der Zukunft organisieren, desto mehr haben Unternehmen vor Ort – und das sind beileibe nicht nur Stadtwerke – eine Chance, daran mitzuwirken.
Wo wir wahrscheinlich wieder einig sind, das ist die Frage der energieintensiven Produktionsstätten: Arbeitsplatzintensive Unternehmen mit produktionsbedingt hohem Energieverbrauch brauchen Sonderkonditionen. Mit dem Hin- und Herschieben der Kosten zwischen PrivatverbraucherInnen und Wirtschaft kommen wir aber nicht weiter.
• Zur GroKo sei so viel gesagt. Die Verantwortung für aus Ihrer Sicht falsche Weichenstellungen trägt zurzeit eine Bundesregierung, die sich auf rund 80 Prozent der Bundestagsmandate stützen kann.
Seien Sie froh, dass eine solche GroKo in Sachsen nicht droht, die einzig wahre Große Koalition hier in Sachsen wäre ja ein CDU/LINKEs-Bündnis. Ich verspreche Ihnen: Das ist absehbar keine Perspektive für uns …
Für das, was die Berliner GroKo anrichtet, können wir nichts. Wir haben im Bundestag zusammen mit den GRÜNEN alle Hände voll zu tun, um wenigstens eine arbeitsfähige parlamentarische Opposition mit ausreichend Minderheitenrechten gegenüber dieser erdrückenden Mehrheit hinzubekommen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
lassen Sie mich noch ein paar persönliche Anmerkungen zu meiner Person machen, so lange kennen wir uns ja noch nicht.
Ich bin gelernter Koch und damit in einem laut „Bild“-Zeitung zukunftsträchtigem Beruf ausgebildet.
Ich durfte in jungen Jahren — während meine 3 jährigen Armeezeit bereits sehr schnell Verantwortung übernehmen und größere und kleinere Kollektive führen, die dafür zu sorgen hatten, dass in verschieden Küchen im Kommando der Luftverteidigung/Luftverteidigung täglich Essen auf den Tisch gelangte. Das war eine gute Gesellenzeit für mich.
Nach einer kurzen Zeit als hauptamtlicher FDJ-Sekretär, war ich in verschieden Funktionen im Einzelhandel tätig. Das Ende der DDR habe ich in einem größeren Einzelhandelsgeschäft mit ca. 35 Beschäftigten erlebt.
Danach war ich angestellt Geschäftsführer im Fischgroßhandel und machte meine erste Bekanntschaft mit der Marktwirtschaft. Als Landesgeschäftsführer musste ich Manager-Qualitäten entwickeln, was mir insofern gelungen ist, als die Landespartei meine Amtszeit ohne erkennbaren Schaden überlebt hat.
Ein Unternehmer wie die, die Sie vertreten, wurde ich in meinem Leben bisher nicht. Bei meinem Versuch mich parallel zu meinem Angestelltenverhältnis beim Fischgroßhandel mit einem Einzelhandelsgeschäft selbständig zu machen misslang und ich scheiterte und habe wahrscheinlich alle Fehler gemacht, die man so machen konnte, als „Jungunternehmer“.
Scheitern gehört also auch zu meinem Leben. Deswegen sage ich: Scheitern einer beruflichen Existenz sollte nicht die Existenz des Menschen ruinieren, im Gegenteil: Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns. Denn ohne Scheitern gäbe es keinen Neuanfang.
Genau dieser neue Anfang muss aber möglich sein.
Die Gesellschaft braucht UnternehmerInnen, die auch Risiko auf sich nehmen und neue Märkte erproben. Das kann schiefgehen. Es sollte aber auf keinen Fall automatisch mit dem Makel verbunden sein, dass jemand alles falsch gemacht habe. Man kann vieles Richtige tun – und trotzdem scheitern.
Deshalb gehört zur sozialen Gerechtigkeit auch dazu, sich mit sozialen Fragen von UnternehmerInnen zu befasst. Ein pleite gegangener Besitzer eines Unternehmens hat aus meiner Sicht ebenso ein Recht auf Fürsorge – oder besser Nachsorge – wie andere Bevölkerungsgruppen. Auch dieser Aspekt gehört zur sozialen Frage, auch wenn das noch nicht alle so sehen in meiner Partei.
Die CDU setzte in der Ära Biedenkopf vor allem auf Leuchttürme, ob sie nun VW oder AMD hießen, die Großen in der Auto- und Chipindustrie standen im Mittelpunkt. Das war aus heutiger Sicht weniger falsch, als wir damals oft lautstrak kritisierten. Starke internationale Player tragen zum Renommee des Freistaates bei und bilden einen global wettbewerbsfähigen wichtigen Teil des Rückgrats der Wertschöpfung.
ABER:
Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Sachsen lassen sich allein so nicht schaffen. Denn es können nicht alle Sachsen in ein paar industrielle Zentren pendeln.
Das innovative Potenzial großer Teile des Landes bleibt so unberücksichtigt. Die Vielfalt Sachsens, auf die wir doch so stolz sind, wird nicht genug ins Spiel gebracht. Da bin ich ganz bei Ihrem Papier „Sachsen 2020“ und wieder beim Anfang:
Was Anfang der 90-er Jahre neu war, ist jetzt alt und überholt.
So die Leuchtturm-Wirtschaftspolitik, über die hinaus den Biedenkopf-Nachfolgern Milbradt und Tillich nichts Substanzielles eingefallen ist.
Unsere Orientierung auf die klein- und mittelständische Wirtschaft, die damals altbacken wirkte, ist nun ganz aktuell.
Es ist die Zukunft einer hoch flexiblen, dynamischen, regional und international vernetzten Wirtschaft.
Aber auch wir als LINKE haben dazugelernt und haben deshalb in unserem Wahlprogramm ausdrücklich eine Fusions-Förderung im KMU-Bereich drin stehen, weil unsere sächsische Wirtschaft insgesamt zu kleinteilig ist, um langfristig zu Regionen wie Baden-Württemberg aufschließen zu können.
Sie wissen, dass bei uns das Thema sozialer Zusammenhalt auch landespolitisch im Mittelpunkt steht. Damit ist aber keine langweilige Kuschel-Gesellschaft gemeint, deren Leben eine einzige Strandparty ist.
Wenn wir von notwendiger Cluster-Bildung der regionalen Wirtschaft und der besseren Verknüpfung von Betrieben mit Forschungseinrichtungen sprechen, ist das eine Facette dieses kreativen, konstruktiven Zusammenhalts der Gesellschaft in Sachsen, wie wir uns sie vorstellen.
So können wir auch gemeinsam neue Sachsen-Marken entwickeln, die dieses Land in der Welt voranbringen und uns Preise am Markt realisieren lassen, von dem viele Unternehmen in Sachsen leider noch ein Stück entfernt sind.
Lassen Sie mich nur noch ein paar Sätze zum linken Leib- und Magenthema Bildung sagen.
Die Gestaltung der Rahmenbedingungen von Bildung ist ja in unserem föderalen System eine Kernkompetenz der Länder, unbeschadet dessen, ob man das nun persönlich für sinnvoll hält oder nicht.
Ich freue mich über Sachsens Erfolge im PISA-Ranking. Das Dumme ist nur: Damit wird gewissermaßen die obere Etage und das Dach unseres sächsischen Bildungswesens beschrieben, nicht aber das Fundament und das Erdgeschoss.
Es sind – grob gerechnet – in der Generation seit der Wende in Sachsen halb so viele Kinder geboren worden wie vorher.
Von diesen bricht eine zweistellige Prozentzahl die Schule ab und jeder Vierte die Lehre.
So wenig Nachwuchs, von dem so viele vorzeitig auf der Strecke bleiben, kann sich dauerhaft keine Gesellschaft der Welt leisten.
Verglichen mit diesem dramatischen Defizit fällt ein Gutteil unserer öffentlichen Streitthemen in die Rubrik Luxusdebatten.
Meine Schlussbemerkungen:
Ich habe meiner Partei in Sachsen ins Stammbuch geschrieben:
Wer sich für starke Gewerkschaft einsetzt, der muss sich auch für starke Unternehmerverbände einsetzten, sonst gibt es keine flächendeckende Tarifabschlüsse im Land.
Dazu brauch es eine neue Kultur des Miteinanders.
Ich glaube, meine Partei kann diese Aufgabe viel besser ausfüllen als alle anderen:
Weil CDU und FDP stehen für die Unternehmerverbände, SPD für die Gewerkschaften bleibt den LINKEN die Aufgabe beide Seiten gleichberechtig zu behandeln und eine Sozialpartnerschaft zu organisieren, wie sie den Werten des 21. Jahrhunderts entsprechen und da steht für mich persönlich an erster Stelle: Die Toleranz, also:
Achten wir die Meinung der Anderen so, wie wir wollen, dass die eigene Meinung geachtet wird. Also, versuchen wir tolerant zu sein, auch wenn es schwer ist.
Herr Eggert, ich glaube jetzt sind sie dran.
Glück Auf!