Begrüßungsrede Landesbischof Bohl am 27. Mai 2014
Sehr geehrter Herr Landesbischof Bohl,
was lange währt, wird endlich gut – diesen Spruch könnte man vielleicht einmal auf die Beziehungen zwischen Ihrer Kirche und unserer Fraktion bzw. Partei in Sachsen anwenden. Auf der Arbeitsebene hat es ja seit 1990 viele Kontakte gegeben, aber so richtig offiziell auf höchster Ebene hatten wir noch nie miteinander zu tun. Das ändert sich mit dem heutigen – nun nennen wir es vielleicht einmal so: Kennenlernen- und Arbeitsgespräch zwischen Linksfraktion und Landesbischof. Jedenfalls sehe ich das so.
Wie gut das dann aber wird, was so lange währte, haben wir selbst in der Hand. Damit meine ich gewissermaßen beide Seiten. Wobei das mit den „beiden Seiten“ schon eine Unschärfe ist, denn es gibt bei den LINKEN evangelische Christen und in der evangelischen Kirche LINKE. Sie werden deshalb von mir keine einzige Äußerung finden, dass zwischen diesen beiden Seiten ein Gegensatz bestünde.
Nach der konfessionellen Gesäßgeographie der alten Bundesrepublik wurde ja die CDU irgendwie der katholischen, die SPD der evangelischen Kirche zugerechnet und die FDP war für die Konfessionslosen zuständig. Schon mit dem Aufkommen der Grünen brach dieses Grundschema endgültig in sich zusammen, weil hier engagierte Christen und überzeugte Konfessionslose Hand in Hand zusammenarbeiteten.
In Sachsen funktioniert das alles überhaupt nicht mehr. Sonst müsste die CDU ja an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern und wir müssten Ergebnisse wie die CSU in besten Zeiten einfahren, denn die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist konfessionslos, und wir werden in der veröffentlichten Wahrnehmung der Medien gerne mit den Interessen konfessionsloser Menschen in Zusammenhang gebracht.
Das liegt natürlich daran, dass es für Massenmedien immer am leichtesten ist, einmal erarbeitete Klischees weiter zu pflegen statt sie über Bord zu werfen. Und manchmal fürchte ich, dass das für gesellschaftliche Großorganisationen ebenso gilt – insofern spiegeln die Medien in ihrem Denken zugleich die Defizite in unserem Denken. Wir haben uns ja alle auf dem Meinungs- und Weltanschauungsmarkt eingerichtet und achten darauf, dass wir nicht durch zu viele Tabubrüche unser Markenprofil gefährden.
Und da gehört es bezogen auf das Verhältnis zwischen Ihnen und uns zum Klischee-Kern, die Geschichte so zu erzählen: Die SED wollte Jesus durch Marx ersetzen, die evangelische Kirche hat den Zusammenbruch dieser atheistischen Staatsideologie im Herbst 1989 ermöglicht. Dann bekamen die Christen dank neuer Ordnung ihre Rechte wieder, während der SED-Nachfolger auf den Rechten derer bestanden hat, die keiner Kirche angehören.
Wie das so ist bei gut funktionierenden Klischees: An all diesen Aussagen ist was dran. Halbwahrheiten leben länger als Lügen, ein Körnchen Wahrheit kann im Einzelfall die Haltbarkeit des größtmöglichen Unsinns schier ins Unendliche verlängern.
Die DDR hat Christen diskriminiert. Allein das Stichwort Jugendweihe versus Konfirmation ist eine schier unerschöpfliche Fundgruppe von Einzelschicksalen. Es kommen unzählige andere Konflikte und Unrechtserfahrungen hinzu bis hin zum Polizeibeamten, bei dem die vorgesehene berufliche Laufbahn mit der Bedingung des Kirchenaustritts verknüpft wurde. Wir stehen zu unserem Anteil an dieser Geschichte, auch wenn die SED-Mitglieder, zu denen ja auch ich zähle, dabei sind, jetzt ein Vierteljahrhundert später in unseren ostdeutschen Landtagsfraktionen in die Minderheit zu geraten.
Wir haben vor fünf Jahren als Landespartei eine Konferenz zum Herbst 1989 gemacht, den Reader dazu möchte ich Ihnen gerne überreichen. Denn nicht nur damals ging es letztlich um eine kritische Stellung zur DDR überhaupt. Ich will jetzt nicht die alte Leier anstimmen: Niemand hat sich so lange und so kritisch mit der Aufarbeitung der DDR beschäftigt wie wir, und die, wie die CDU, die uns vorgeworfen haben, wir täten zu wenig auf diesem Gebiet, haben sich an ihre eigene Geschichte überhaupt nicht ernsthaft herangewagt. Das tute ich deshalb nicht, weil natürlich eine ehemalige Staatspartei einen ungleich größeren Bedarf der Beschäftigung mit diesem historischen Kapitel hat als andere.
Nun hat es auch Christen gegeben, die in der DDR den Versuch einer besseren Gesellschaft als einer kapitalistisch organisierten gesehen haben. Die Formel „Kirche im Sozialismus“ war ja nach meiner Wahrnehmung nicht nur eine notgedrungene Überlebensstrategie. Und dazu gab und gibt es natürlich auch in der evangelischen Kirche selbst viele Diskussionen.
Sie, verehrter Herr Landesbischof, haben in Ihrem Brief an mich neben den Positionen zur Vergangenheit mit Blick auf das heutige Gespräch besonderes Interesse an drei weiteren Gegenwartsthemen bekundet. Zunächst die „Bedeutung laizistischer Einstellungen in der gegenwärtigen Politik der LINKEN“.
Es gibt ja auch unter Christen laizistische Einstellungen. Also tief gläubige Christen, die zum Beispiel sagen: Den Religionsunterricht möchten wir nicht in staatlichen Händen haben, sondern selbst in der Gemeinde vor Ort dafür Verantwortung tragen. Umgekehrt gibt es konfessionslose Menschen, die sagen: Die Kirchen haben bei der Pflege eines humanistischen Wertefundaments für den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine wichtige Rolle, weshalb der Staat sie auch im Interesse von Nichtkirchenmitgliedern unterstützen sollte.
In unserem Wahlprogramm ist das Ziel einer Schule ohne Religionsunterricht formuliert, wohl wissend, dass dafür die Landesverfassung geändert werden müsste. In diese Richtung hat die Fraktion, die ansonsten durchaus weiteren Verfassungs-Reformbedarf sieht, bisher keine Aktivitäten entwickelt. Ich persönlich hätte mir auch lieber eine Formulierung im Wahlprogramm gewünscht, dass der Religionsunterricht praktisch gleichberechtigt allen Konfessionen geöffnet werden soll. Das wäre auch im Interesse der jüdischen Gemeinden.
Zur Dienstleistung des Kirchensteuereinzugs, die Sie auch angesprochen habe, nur soviel: Ich habe damit keine Probleme, wenn die Dienstleistung des Finanzamtes angemessen bezahlt ist. Es gibt allerdings immer wieder auch innerkirchliche Kritik an der Kirchensteuer, und selbst der als konservativ geltende Papst Benedikt XVI. hatte in seiner Amtszeit deutlich gemacht, dass er kein Freund dieses deutschen Kirchenfinanzierungssystems ist.
Wir werden diese Fragen ebenso wie die umstrittenen Staatskirchenleistungen nicht in Sachsen lösen. Daher habe ich auch die antikirchliche Polemik der FDP zurückgewiesen.
Sie fragen in einem vierten Themenbereich nach möglichen Gemeinsamkeiten und nennen den Sonntagsschutz, den Umgang mit dem Rechtsextremismus und der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Ich glaube, diese Themen stehen für erprobte praktische Gemeinsamkeiten. Wir sind gerade auch der evangelischen Kirche dankbar, dass sie u.a. im Zusammenhang mit dem 13. Februar in Dresden ihren couragierten Beitrag dazu geleistet hat, dass der größte Naziaufmarsch Europas Geschichte ist.
Wir haben bei allen drei Themen auch in Zukunft viel gemeinsam zu tun. Auch wenn sich das FDP-Problem bald erledigt zu haben scheint – der Drang nach einer immer mehr verstärkten Kommerzialisierung der Sonn- und Feiertage nimmt zu. Das Nazi-Problem besteht auch dann fort, wenn die NPD aus dem Landtag fliegen sollte – rassistisch gefärbte Ressentiments gegen Flüchtlinge beispielsweise sind nicht vom Himmel gefallen und kehren auch nicht mal eben dorthin zurück. Die Herausforderung wahrhaftiger und wirklicher sozialer Gerechtigkeit in einem umfassenden Sinne ist überhaupt noch nicht allgemein wahrgenommen – während die Spaltung der Gesellschaft voranschreitet.
Es gibt natürlich auch von unserer Seite viele Fragen. Zum Beispiel was die Arbeitsplatzsicherheit konfessionsloser Mitarbeiter in ehemals kommunalen Einrichtungen angeht, die in kirchliche Trägerschaft übergegangen sind – wenn sie aufgrund ihrer persönlichen Überzeugung kein Kirchenmitglied werden wollen. Ich möchte aber der Diskussion nicht vorgreifen und denke, wir werden über alles, was Sie und uns bewegt, konstruktiv reden können.
Bitte, Herr Landesbischof, Sie haben das Wort!