Mein Einführungsbeitrag zur Frühjahrsklausur am 18./19. März 2015
Die erste Frühjahrsklausur in der Legislaturperiode gibt die Möglichkeit für Wegbestimmung für diese Legislaturperiode und ein erstes Resümee.
25 Jahre CDU an der Regierung sind genug – davon konnten wir die Mehrheit der Wählenden nicht überzeugen, also bleibt es für DIE LINKE bei unserer Rolle als stärkste Oppositionsfraktion.
Die Aufgabe haben wir angenommen, und ich sage: Wir sind in der Lage, diese Aufgabe auch auszufüllen und waren inhaltlich schon in der Startphase dieser Wahlperiode recht erfolgreich.
Die von uns im Dezember bereits geforderte Stabsstelle für bessere Koordination der Unterbringung und Betreuung Geflüchteter ist mittlerweile Realität.
Unsere Initiative für eine Erhöhung der Impfquote angesichts des jüngsten Masern-Ausbruchs wurde von der Koalition mehr oder weniger kopiert, um sich in den Ausschuss-Beratungen nicht zu blamieren.
Das Gleiche gilt für unseren Antrag für Kooperationsverträge zwischen Pflegeheimen und Ärzten für eine bessere medizinische Betreuung der Pflegebedürftigen, der wurde zwar abgelehnt, aber fast wortgleich von der Koalition mit eigenem Antrag beschlossen.
Unser Antrag für mehr Staatsanwälte wurde auf Bitten der Koalition in den Verfassungs- und Rechtsausschuss überwiesen, weil man ihm im Plenum nicht ablehnen wollte – wegen Übereinstimmung.
Aus dem Änderungsantrag zur Einsetzung einer ExpertInnenkommission ÖPNV wurde unser Vorschlag, dass die Fraktionen daran zu beteiligen sind, durch den Wirtschaftsminister übernommen.
Last but not least:
Die Landesausstellung sächsische Industriekultur wird nun doch im Einklang mit Expertenvotum und Landtagsbeschluss dezentral in der ganzen Region Chemnitz stattfinden – darauf hatten wir gegen die zeitweilige Unvernunft der Regierenden lange gedrungen.
Veränderung beginnt also wirklich mit Opposition.
Ich denke, dass wir unseren Anteil daran hatten, dass nach der Fachregierungserklärung zum Totalversagen des Innenministers Ulbig im Zuge des Verbotes der Versammlungen am 19. Januar in Dresden Jürgen Kochinke in der LVZ von einer „Sternstunde“ des Parlamentes schrieb.
Das hatte vor allem auch damit zu tun, wie wir die Rede angelegt hatten, nämlich über das Versagen von 25 Jahren CDU-Regierung zu reden.
Was mit LINKS in der Regierung alles geht, wollen wir morgen zusammen mit der Fraktions- und Landesvorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow am Beispiel unseres Nachbarlandes Thüringen durchdenken, wo Rot-Rot-Grün die ersten hundert Tage hinter sich hat.
Immerhin haben wir zu diesem Kabinett aus unserem Landesverband die Sozialministerin und den Staatskanzleichef beigesteuert. Mit René Jalaß haben wir einen weiteren Genossen aus dem Landesverband Sachsen nun im Leitungsstab der Kultusministerin Birgitt Klaubert, und auch die Büroleiterin von Heike Werner ist keine Unbekannte, Katrin Mehlhorn war in der letzten Legislaturperiode Stadträtin in Dresden und die Büroleiterin von Katja Kipping in Berlin im Bundestag.
Wir werden – wie schon im Verhältnis zu den mitregierenden Genossinnen und Genossen in Brandenburg teilweise erprobt – länderübergreifend solidarisch-kritische Partnerinnen und Partner sein.
Wie das gelingen kann, zeigte nicht zuletzt unser gut abgestimmtes Vorgehen beim Thema Verockerung der Spree, den ökologischen Bergbaufolgeschäden.
Überhaupt haben wir uns nicht gescheut, immer wieder das heiße Eisen „Braunkohle“ in all seinen Fassetten anzufassen. Das wird uns sicher auch nicht auf dieser Klausur verschonen, auch wenn ich den nächsten Tagesordnungspunkten nicht vorgreifen möchte…
Ich glaube grundsätzlich, dass wir mit unseren Politikangeboten nur dann dauerhaft nachhaltige Wirkung in der Gesellschaft erzielen, wenn wir nicht vor dem weglaufen, worüber die Leute diskutieren wollen.
Die westdeutschen Grünen wollten 1990 nicht über die deutsche Einheit reden, sondern machten einen Klimaschutz-Wahlkampf – und flogen aus dem Bundestag.
Heute 2015 sind wir uns in der sächsischen LINKEN – so meine Wahrnehmung – alle einig, dass der Kampf gegen die Prekarisierung unser landes- und bundespolitisches Kernthema ist.
Einkommens- und Arbeitsplatz-Unsicherheit sind von der Discounter-Verkäuferin bis zum akademischen Mittelbau Alltagsproblem Nummer eins.
Das öffentliche Aufreger-Thema Nummer eins aber ist die Zuflucht von Menschen, die ebenfalls Unsicherheit und Bedrohung zu entkommen versuchen.
Die „Nein zum Heim“-Protestwelle ist seit mehr als einem Jahr Sachsens führende außerparlamentarische Bewegung – übrigens in dieser Form, Massivität und Zuspitzung deutschlandweit einzigartig.
Es gibt zahllose Analysen, warum das so ist.
Und es bringt uns gewiss nicht weiter, uns wechselseitig im Streit um die richtigste Analyse an einander abzuarbeiten.
Stattdessen brauchen wir alle Kraft, um aus den Unsicherheiten der Geflüchteten und der Einheimischen ein gemeinsames Gesellschafts-Projekt sozialer Sicherheit und Solidarität in Sachsen zu schmieden.
Dabei hat die Fraktion eine wichtige Rolle, weil damit der Kampf um finanzielle Ressourcen verbunden ist, der in den nächsten Wochen auf der Bühne des Landtags von uns vorangetrieben werden muss.
Zusammen mit den Grünen und denen in der SPD, die etwas mutiger und klüger sein wollen als Martin Dulig.
Ich sage ganz offen: Wie uns dieses Schlüsselprojekt in den nächsten Jahren gelingt, entscheidet darüber, ob wie 2019 bei 15 oder 25 Prozent rauskommen.
Wir werden aber nicht mal 15 Prozent schaffen, wenn wir nach dem Modell Grüne 1990 beschließen: Wir reden lieber nicht über Asyl, sondern ausschließlich über Prekarisierung oder halten uns bei Gesellschaftsanalysen auf. Es wird nicht funktionieren.
Es wird uns auch keine einzige Stimme bringen, wenn einige in der Landespartei – zum Teil mit Unterstützung aus der Fraktion — der Meinung sind, sie müssten immer noch Entscheidungen und Wahlen kritisieren und kommentieren, die in der Vergangenheit liegen, als ob man sie damit rückgängig machen könnte.
In dieser Fraktion sitzen 27 Persönlichkeiten.
27 Individuen unterschiedlichen Alters und Sozialisierung, die sich in die Arbeit der Fraktion einbringen, einbringen wollen bzw. eingebracht haben.
Ich kann nach einem halben Jahr noch keine abschließende Wertung vornehmen, aber ich kann feststellen, dass wir in der Fraktion keine „Totalausfälle“ zu beklagen haben.
Aus vielen einzelnen Gesprächen habe ich in den letzten Wochen oft Überraschendes gehört, Überraschung auch über das Agieren und das Auftreten von Einzelnen.
Ich will heute auch die Chance nutzen, mich bei allen zu bedenken, die andere, die neue, manchmal auch nicht gewollte Themenfelder übernommen haben.
Ja, es läuft noch nicht alles rund, aber ich möchte feststellen, dass die Mehrzahl der getroffenen Entscheidungen, der getroffenen Absprachen zur Übernahme von Themenfeldern gut bis sehr gut funktioniert.
Heute vor 25 Jahren fand die erste freie Volkskammerwahl statt.
Sie hatte eine Wahlbeteiligung wie bei Bundestagswahlen in den frühen siebziger Jahren.
Bei Landtagswahlen in Sachsen sieht das seit über 20 Jahren anders aus.
Schon 1994 gab es nur noch eine Wahlbeteiligung von 54 Prozent.
Vor zwei Jahrzehnten ging also gut die Hälfte, heute geht knapp die Hälfte der Wahlberechtigten in Sachsen zu einer Landtagswahl.
Ein Faktum, dass wir nicht vergessen sollten, auch bei so mancher Debatte um das Wahlergebnis vom August 2014.
Zwischendurch gab es mal kleine Ausreißer bei der Skala, so 1999 als die Wahlbeteiligung unter dem Einfluss der Unzufriedenheiten mit Kanzler Schröder nach dem rot-grünen Regierungswechsel 1998 etwas zunahm.
Das war Bundespolitik, dennoch blieben auch damals 40 Prozent der Wahlberechtigten zuhause.
2004 herrschte eine dreifache Polarisierung: Hartz IV, NPD und das Stasi-Thema um Peter Porsch. Gebracht hatte es unterm Strich in punkto Wähler_innen-Mobilisierung nichts, die Wahlbeteiligung stagnierte.
2009 ging sie dann auf 52 Prozent zurück, also noch weniger als 1994, und wir erlitten mit minus drei Prozent unsere bislang mit Abstand größten Verluste.
2014 waren Rückgang von LINKE-Stimmen und Wahlbeteiligung geringer als 2009, aber es ging mit beiden erneut abwärts.
Ja, und auch wir haben uns schon vor den letzten Wahlen mit FOKUS-Gruppenbefragungen befasst und kennen daher seither den ernüchternden Befund, der auch nicht verschwiegen wurde:
Über keine der größeren demokratischen Parteien – egal ob CDU, LINKE, SPD, GRÜNE oder FDP – konnten die Befragten konkrete landespolitische Zuordnungen machen.
Was sagt es uns denn, wenn die „Sächsische Zeitung“ darüber berichtet, dass die „Nein zum Heim“-Initiative in einem Leipziger Stadtviertel zehn Mal so viel Likes hat wie die größte Fraktion des Landtags bei Facebook?
Wir müssen uns tatsächlich neu erfinden, wir als Linksfraktion und der Landtag als demokratisches Entscheidungsgremium insgesamt.
Es wäre doch schön, wenn wir zum Motor der Erneuerung des Landtags würden.
Ich finde es gut, dass wir mit unserem gemeinsamen Gesetzentwurf mit den GRÜNEN für mehr direkte Demokratie in Sachsen ein starkes Signal für sächsische Demokratie im guten Sinne setzen.
Aber genau dieses Thema zeigt auch ein großes Dilemma auf:
Wird dieses Thema mit uns den LINKEN in Verbindung gebracht?
Und warum wissen das nicht die tausenden Menschen auf der Straße, die mehr Volksentscheide fordern oder überhaupt die Volksentscheide auf Bundesebene einführen wollen?
Mehr noch als bisher müssen wir an das „Verkaufen“ unseres politischen Handelns denken.
Es kann nicht darum gehen, dass jede einzelne Initiative von uns bekannt wird. (Das wissen noch nicht mal wir Abgeordnete im konkreten Fall.)
Es muss uns aber gelingen ein Image aufzubauen, wo die Menschen automatisch sagen: Das ist von den LINKEN, das wollen die LINKEN, das hat die LINKE „gemacht“.
Hier sollten wir unsere Kraft investieren, statt die rückwärtsgewandte Neuauflage des Streits z.B. um die Schuldenbremse zu führen, wie am vergangenen Wochenende.
Eigentlich könnte man darüber belustigt sein, wie einige da versuchen, die Geschichte umzuschreiben.
Wir könnten ja mal eine Untersuchungen anstellen, wer entschieden hat, dass sich DIE LINKE überhaupt in diese Verhandlungen begibt und dann sogar zugestimmt hat, dass zunächst ausschließlich über das Thema Schuldenbremse und nicht die anderen diskutierten Verfassungsänderungen geredet wird.
Damals hieß der Fraktionsvorsitzende nicht Gebhardt.
Aber alles Schnee von gestern, reden wir lieber über den anstehenden Frühling!
Wenn wir heute und morgen gut unseren Job machen, werden wir vor Ostern noch ein paar Schlagzeilen mit LINKER Politik zustande bringen.
Zugleich legen wir die Grundlagen für eine selbstbewusste Opposition gegen die CDU/SPD-Staatsregierung.
Vor allem sollten wir auch immer Spaltpilz zwischen CDU und SPD sein und uns immer bewusst machen, wer hier seit 25 Jahren regiert, das ist die CDU.
Wenn wir dabei trotz in Jahrzehnten gewachsenen widrigen Umständen nicht verzagen, können wir die gesellschaftliche Stimmung drehen.
Dafür müssen wir in der Tat dort hingehen, wo es wehtut, wie ich es in einem Papier zur Strategiedebatte gelesen habe.
Daher danke ich noch mal allen in und außerhalb der Fraktion, die sich auf dem Theaterplatz anlässlich des Flüchtlings-Protestcamps dem gestellt haben, was „Volk“ leider auch sein kann.
Lasst uns auch – dafür sind wir hier ja auch als Fraktion zusammengekommen — mit parlamentarischen Mitteln daran mitarbeiten, dass die nächste große außerparlamentarische Bewegung in Sachsen von links kommt!
Wir haben uns mit Sachsens Doppelhaushalt, parlamentarischem Umgang mit der AfD, der Wiedereinsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses, der Arbeit der Thüringer Landesregierung und anderem mehr ein Mammut-Programm für die Klausur vorgenommen.
Wir haben mehr Gemeinsamkeiten in Grundfragen der Gesellschaftskritik in unserer Partei und Fraktion, als sich manche zugestehen wollen.
Ich wünsche mir deswegen nicht nur für heute und morgen etwas mehr Ehrlichkeit und Gelassenheit.