Vorstellung von Vorschlägen der Linksfraktion zum Thema Asyl in Sachsen – was jetzt vor allem zu tun ist
Mein Statement zur heutigen Pressekonferenz über die aktuelle Asylpolitik im Freistaat:
Eigentlich wollten wir heute den Entwurf eines eigenen Handlungskonzepts Asyl in Sachsen vorstellen. Wir glauben aber, dass wir den üblichen Wettbewerb zwischen Regierung und Opposition an Tagen wie diesen beiseitelassen müssen. An Tagen wie diesen, an denen Sachsen durch die Heidenauer Krawalle, mit denen vorübergehend sogar die Ankunft von Kriegsflüchtlingen blockiert wird, weltweit zum Zeichen von Unmenschlichkeit wird. An Tagen wie diesen, an denen ein Bürgermeister im Erzgebirge die Bevölkerung zum Protest gegen eine Asyl-Unterkunft aufruft. Ein Tiefpunkt bundesdeutscher Kommunalpolitik. An Tagen wie diesen, an denen eine renommierte deutsche Wochenzeitung den Freistaat Sachsen wegen grassierender Fremdenfeindlichkeit zum Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland auffordert. An solchen Tagen brauchen wir einen parteiübergreifend organisierten Neustart für die Gesellschaft in Sachsen. Die zustimmenden Reaktionen von CDU und SPD auf die von LINKEN und GRÜNEN vorgeschlagene Sondersitzung des Landtages zu Asyl in Sachsen stimmen mich zuversichtlich, dass dies möglich ist. Ich wünsche mir diese vier Fraktionen bzw. Parteien in einem Boot bei diesem Schlüsselthema.
Die AfD hat sich mit dem parteipolitischen Missbrauch der aktuellen Herausforderungen für Demonstrationszwecke endgültig ins Abseits manövriert. Kein vernünftiger Mensch kann beim Thema Asyl eine Initiative unterschreiben, bei der die AfD mitmischt.
Natürlich werden wir uns nicht zuletzt mit der CDU nie asylpolitisch einigen. Auf Landesebene muss es derzeitig in erster Linie um die humanitäre Umsetzung von vorhandenen Gesetzeslagen gehen.
Deshalb glaube ich, dass selbst demokratische Sozialisten und Christ-Demokraten hier ein Stück des Weges zur Überwindung der derzeitigen untragbaren Asyl-Verhältnisse in Sachsen gemeinsam gehen können, ja sollen, ja eigentlich sogar müssen, wenn sie ihre Verantwortung gegenüber allen Menschen im Land ernst nehmen. Und zu dieser Verantwortung hat sich jeder Abgeordnete und jedes Regierungsmitglied in der Vereidigung bekannt.
Auf der Grundlage der Aussagen des Ministerpräsidenten bei seiner letzten Regierungserklärung am 9. Juli 2015, als er gesagt hat: „Ganz klar und deutlich: Rassismus ist eine Schande. Rassismus ist der Nährboden für
Verbrechen. Diesen Nährboden darf es nicht geben. Wir müssen uns immer wieder bemühen, rassistische und menschenverachtende Haltungen aus den Köpfen zu bekommen.“,
biete ich der Koalition Folgendes als mögliche Basis eines praktischen Konsenses an:
- Wir verzichten gemeinsam darauf, darüber zu streiten, welche Zahl von Flüchtlingen an welchem Ort zumutbar ist oder nicht. Geflüchtete sind keine Belastung, sondern eine Herausforderung. Als gebürtiger Erzgebirger sage ich auch den Menschen in Schneeberg: Wenn wir in Sachsen bis zum Jahresende weitere 25.000 Menschen aufzunehmen haben, können wir keine Debatten darüber führen, ob auf dem Kasernengelände einer 14.000-Einwohner-Stadt nun 300 oder 800 Geflüchtete unterkommen dürfen. Ich will kein einziges Zelt für Geflüchtete in Sachsen mehr sehen, weil das maximal sozial unverträglich ist. Diesem Ziel ist alles unterzuordnen.
- Wir helfen uns gegenseitig bei der Organisation der asylpolitischen Kommunikation vor Ort. So könnten Bürgermeister prinzipiell im Verbund mit diesen vier demokratischen Parteien zu Bürgerforen einladen, sodass die Parteien ihre ja regional sehr unterschiedliche Organisationsstruktur im Sinne von Synergieeffekten mit einbringen können. Das heißt dann auch, dass die Parteien die Bürgermeister nirgendwo allein lassen, sondern grundsätzlich immer Vertreter_innen zu solchen Foren schicken. Ziel sollte es sein, vor Ort Runde Tische zum Thema Asyl ins Leben zu rufen.
- Wir laden gemeinsam zu einem Asylgipfel der Zivilgesellschaft ein. Die Landtagsfraktionen von CDU, LINKE, SPD und GRÜNE sollten mit logistischer Unterstützung der Staatskanzlei so schnell wie möglich einen solchen Gipfel mit Repräsentanten von Behörden, Kommunen und Willkommensinitiativen durchführen. Dieser Gipfel wäre auch ein Signal an die Welt, dass Sachsen verstanden hat, daraus sollte sich eine ständige Flüchtlingskonferenz entwickeln.
- Wir verständigen uns auf die maximale Ausschöpfung aller Ausnahmeregelungen im Sinne einer menschenwürdigen Aufnahme von Flüchtlingen in Sachsen. Wir brauchen einen zentralen Krisenstab in der Staatskanzlei für Flüchtlinge auf Landesebene, dessen einziges Ziel es ist, die gerade noch irgendwie legale Umgehung bestehender bürokratischer Integrationshürden zu organisieren. Zurzeit geht die Integration der Geflüchteten in Arbeit und Ausbildung gegen Null, was nicht an ihnen, sondern vor allem unseren Gesetzen und der Bundesagentur für Arbeit liegt. Ich will nicht, dass auch nur ein einziges Mal in Sachsen einem Unternehmer verboten wird, einen Flüchtling zu beschäftigen.
- Der fünfte Punkte ist ausschließlich mein persönlicher – Rico Gebhardt, mit keinem Gremium der Welt abgestimmt. Ich bin überzeugt, dass wir die in langwierigen globalen Krisenherden gründende Migrationsbewegung nicht ausschließlich mit unserem bestehenden System von staatlichen Fördermaßnahmen sozial beherrschen können. Denn diese gehen allesamt von einer recht statischen Gesellschaft aus. Unsere gesamte Bürokratie steht schon durch die Ankunft einiger Hunderttausend am Rande des Kollapses. Es könnten aber schließlich Millionen sein. Am Ende wird die Inklusion einer bunter werdenden Gesellschaft nur gelingen, wenn ganz viele Menschen einfach ganz persönlich mitmachen. Viele von ihnen wollen keine Förderanträge ausfüllen, sondern einfach ungehindert helfen dürfen. Ob in einer Asyl-Unterkunft oder in der eigenen Wohnung. Die Fraktionsvorsitzenden und der Ministerpräsident sollten es sich gemeinsam zur Chefsache machen, dass wir alles tun, damit diesen Menschen keine Steine mehr in den Weg gelegt werden.Natürlich wollen wir LINKE mehr, das sind unsere konkreten aktuellen Forderungen:
- Sicherstellung einer engen individuellen Begleitung jedes ankommenden Flüchtlings mit bei Bedarf sozial-psychologischer Betreuung.
- Ungehinderter Zugang aller Geflüchteten zu unabhängiger Asylverfahrensberatung.
- Zentral gesteuerte Unterbringungs- und Wohnraumakquise zwecks rascher Unterbringung außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen und Notunterkünften.
- Begrenzung des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen auf maximal drei Wochen für Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns kommen.
- Sprach- und Orientierungskurse sowie Qualifikationschecks für alle Asylsuchenden vom ersten Tag.
- Vollkostenerstattung des Landes für Landkreise und kreisfreie Städte für Flüchtlinge und Leistungsempfänger nach § 25, Abs. 5 Aufenthaltsgesetz.
- Arbeit an einem Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz, das den Rahmen des landespolitischen Handelns für die nächsten Jahre absteckt.
Diese Forderungen werden wir im Interesse von Geflüchteten und einheimischer Bevölkerung offensiv vertreten.
Der Freistaat Sachsen steht vor der größten politischen Herausforderung der nächsten Jahre. Diese Herausforderung stellt sich nicht nur, aber besonders beim absehbar wichtigsten Thema der nächsten Jahre: dem Gesellschaftswandel, der durch Überalterung, regionale Entvölkerung und Zuwanderung eintritt. Im Verbund führen diese drei Prozesse in vielen Köpfen zu Zukunftsangst, weil nicht klar ist, wie es mit der individuellen „heimischen Welt“ weitergehen wird – und mit wem man künftig zusammenleben wird.
Nur langsam wächst – wenn überhaupt – die Einsicht, dass die Zeiten, in denen die sächsische Gesellschaft weitgehend homogen war, vorbei sind.
Zudem wird das Thema Asyl Schwerpunktthema unserer Fraktionsklausur diese Woche. Niemand hat den Stein der Weisen in der Hand, wir richten uns daher auf Monate intensiver Gespräche ein.