Wir brauchen eine sächsische Migrationsagenda, die Frieden im Alltag schafft!
- es gilt das gesprochene Wort -
Zum Antrag „Europäische Migrationsagenda und gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa (Parlaments-Drucksache 6/2803):
Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, die Politik der CDU und auch der SPD haben eine Mitschuld an der derzeitigen Flucht von Millionen Menschen nach Europa und insbesondere nach Deutschland.
Die Bundeskanzlerin ist nicht Schuld am Umgang mit Geflüchteten in diesem Land. Hier hat sie mit ihrer menschenfreundlichen Aussage „Wir schaffen das!“ zum richtigen Zeitpunkt die richtige Aussage getroffen, auch wenn sie leider vergessen hat, uns ihren Plan dazu zu verraten.
Scheinbar versucht nun fast jede und jeder in der CDU/CSU und in der Großen Koalition, seinen eigenen Plan zu entwickeln, und so wird der Öffentlichkeit im Wochenrhythmus Sand in die Augen gestreut, — mit immer neuen Vorschlägen und Ankündigungspolitik. Jahrzehntelange Freiheitsreche werden gleich mal entsorgt und eingeschränkt, immer mit dem Hinweis, die Zahl der Geflüchteten reduzieren zu wollen.
Nun also hat die sächsischen CDU/SPD-Koalition scheinbar einen Plan, und der lautet: Europäische Migrationsagende und gerechte Verteilung der Geflüchteten in Europa.
Das klingt erstmal gut. Aber:
Die bisherigen Zahlen sind mit Verlaub niederschmetternd.
Nur knapp 300 der 160.000 Geflüchteten, die innerhalb der EU sozusagen umverteilt werden sollen, haben tatsächlich – so die Mitteilung der Kommission per 12. Januar 2016 — schon ihre neue Heimat bekommen. Wenn wir den Beschluss der EU-Regierungschef mit der gleichen Schnelligkeit umsetzen wie bisher, dann werden wir sieben (!!!) Jahre benötigen, um die bisher vereinbarten 160.000 Geflüchteten in der europäischen Staatengemeinschaft umzuverteilen.
Elf sogenannte Hotspots waren verabredet – ich lass mal unsere politische Haltung dazu beiseite –, im Betrieb sind ganze drei – mit 46 Prozent des dafür benötigten Personals.
Ich bewundere Ihren Mut, dass unser Ruf aus Dresden etwas daran ändert wird.
Andererseits freue ich mich, dass Sie, die Sie bis jetzt all unsere parlamentarischen Initiativen auf sächsische Einflussnahme auf EU-Politik im Rahmen der sogenannten Subsidiaritätskontrolle abgeblockt haben, nun doch an die Wirkmächtigkeit sächsischer Europapolitik glauben.
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung!
Das „Dublin III-Verfahren“, das ja jetzt von den selbsternannten Verteidigern der deutschen Grenzen so hochgehalten wird, heißt ja im Klartext:
Nur wer mit einem Fallschirm über Deutschland abspringt, hat die Chance, hier Asyl zu bekommen. Ansonsten muss er dort bleiben, wo er in die EU gekommen ist. Das heißt, es war ja gerade Deutschland, das diese Regelung in der Europäischen Union durchgesetzt hat und das eigene Asylrecht dadurch de facto abgeschafft hatte.
Da, wo die Geflüchteten den Boden der EU betreten, herrscht Krisenkapitalismus pur. Es waren doch deutsche Politiker wie Finanzminister Wolfgang Schäuble, die im schlichten Erpressungsmodus Griechenland und andere Länder in die Knie gezwungen haben und ihnen ihren Willen aufgezwungen haben.
Jetzt fordern wir gerade von diesen Staaten Solidarität ein. Ich erkenne da sehr viel Heuchelei.
Nimmt man diese Taten der Vergangenheit zusammen, kann man sich eigentlich nicht wirklich wundern, dass das „Dublin III-Verfahren“ zusammengebrochen ist.
Als vermeintliche Antwort darauf will Marko Schiemann die deutschen und auch sächsischen Grenzen wieder „sichern“, wie er sagt.
Ein Schritt weiter geht Frau Petry, sie lässt deutsche Bundespolizisten zu diesem Zweck auch schießen.
Ich will aber auch an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, wer Obergrenzen fordert, wie der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt oder der politische Ratgeber der CDU Sachsen, der bayerische Ministerpräsident Seehofer, der muss aber auch klar sagen, was passiert, wenn die Obergrenze überschritten wird.
Frau Petry hat diese Vorlage genutzt und klar gesagt, was dann die letzte Möglichkeit ist: Es wird an der Grenze scharf geschossen. Wollen Sie das ernsthaft?
Nach dem berechtigten Aufschrei innerhalb der demokratischen Parteien zum Vorschlag der AfD in diesem Land wollen Sie das nicht, also hören Sie auf, den Leuten vorzugaukeln, dass Obergrenzen möglich wären.
Fast vergessen ist, dass in den neunziger Jahren beim Versuch, die im Vergleich zu heute, Herr Schiemann, noch in Ihrem Sinn gesicherten Grenzen zu überqueren, Hunderte Flüchtlinge zu Tode gekommen sind. Wir sollten uns gerade jetzt wieder hier in Sachsen an die Ertrunkenen in der Neiße erinnern.
Ich hoffe, dass außer der AfD in diesem Haus niemand ernsthaft die Rückkehr zu solchen Zuständen will!
Ich will hier gar nicht die zahllosen aktuellen Warnungen aus der Wirtschaft zitieren, wie verheerend sich Grenzsicherung und weiter verschärfte Kontrollen an unseren Grenzen auf Arbeitsplätze, Handel und Produktion auswirken würden. Ich glaube auch nicht, dass ich hier Eulen nach Athen tragen und vor Planspielen wie dem Rauswurf Griechenlands und der Rückkehr zu einem Kerneuropa warnen muss. Solche Gedankenspiele sind einfach nur verrückt, weil sie das gesamte historische Friedensprojekt der europäischen Integration in Frage stellen.
Wir sehen also: Wer mit dem Zeigefinger auf andere weist, richtet mindestens drei Finger auf sich selbst – das gilt gerade auch bei der versuchten Schuldzuweisung von deutscher Seite Richtung andere EU-Partner. Neben den genannten Taten kommt nämlich noch eine dritte hinzu: Deutschland hat sich stets geweigert, die EU als Sozialunion zu verstehen.
Deshalb wird der Wunsch des sächsischen Europaministers und Staatskanzleichefs Jäckel nach einem einheitlichen europäischen Asylrecht und Asylverfahren so einfach nicht in Erfüllung gehen. Warum sollten beispielsweise Bulgarien oder Rumänien dabei mitmachen, wenn Deutschland mit verwaltungstechnischer List und Tücke versucht, bulgarische und rumänische Staatsbürger, die formal gleichberechtigte Unionsbürger sind, aus dem deutschen Sozialsystem herauszuhalten. Bis selbst Gerichte feststellen, dass es so nicht geht.
Selbstverständlich haben wir nichts gegen den Informationsbedarf, den Sie angemeldet haben, liebe Kolleginnen und Kollegen vom CDU und SPD, und daher ist auch gegen Ihren Antrag, soweit er Berichtsantrag ist, nichts einzuwenden.
Die entsprechenden Daten sind zwar auch auf den Internetseiten zur Europäischen Migrationsagenda zu finden, aber man kann das natürlich auch nochmal durch die Staatsregierung aufschreiben lassen, Ihnen wird die Regierung die notwendigen Antworten ja auch nicht vorenthalten.
Der zweite Teil Ihres Antrages, der sich u.a. der Frage widmet, ob das Dubliner Übereinkommen angepasst werden müsste, ist sehr zaghaft angesichts der Macht des Faktischen, dass das Dublin-Abkommen tot ist. Aber gut, Sie haben immerhin erkannt, dass sich etwas ändern muss. Und im dritten Teil des Antrags beginnen Sie richtigerweise mit dem Wichtigsten: „dass humanitäre Hilfe für Menschen in Not geleistet wird.“
Was dann kommt, ist das, was die Staatskanzlei wie gesagt gestern als Ziel formuliert hat und auf die sogenannte gerechte Verteilung der Flüchtlinge in den EU-Staaten ausgerichtet ist.
Das Gleiche gilt – Sie sehen, ich lobe Sie schon wieder – für das Bekenntnis zum Kampf gegen Fluchtursachen, in das Ihr Antrag mündet.
Ich kann zufrieden feststellen: LINKS wirkt – auch in Ihren Köpfen!
Das beflügelt mich darin, unserem Angebot vom letzten Jahr treu zu bleiben, das da lautet: In Zeiten wie diesen brauchen wir einen parteiübergreifenden humanitären Grundkonsens bei Aufnahme und Integration der Geflüchteten.
Die Radikalisierung der Gesellschaft, ja sogar teilweise zunehmende Pogromstimmung, wie der Leiter des OAZ, Herr Merbitz erschrocken festgestellt hat, erfordert eine sächsische Migrationsagenda, die Frieden im Alltag schafft. Die neuerliche Anschlagsserie auf Asylunterkünfte in den letzten Tagen spricht eine ganz andere Sprache – die Sprache des Hasses.
Ihr wirksam und couragiert entgegenzutreten – das ist unsere sächsische Hausaufgabe, die können wir weder an die Bundes- noch die Europapolitik abschieben!
Inkonsequent bleiben Sie in Ihrem Antrag, wenn es um die Bekämpfung der Schleuserkriminalität geht. Wenn sich Menschen in Lebensgefahr begeben müssen und dafür auch noch viele tausend Euro zahlen müssen, ist das absolut inakzeptabel. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Schleuserwesen ist die brutalstmögliche Marktlücke, die durch die Kriminalisierung von Migration geschaffen worden ist.
Und warum? Weil es keine legalen Wege von Flucht und Einwanderung gibt, gibt es Schleuser, die gegen viel Geld einen illegalen Weg anbieten.
Die Wege mögen illegal sein, die Menschen sind es nicht.
Kein Mensch ist illegal!
Kurz gesagt: Man kann nicht, wenn es um Waren geht, von schrankenloser Globalisierung reden. Und wenn sich dann die Produzenten auf den Weg machen, die Souveränität von Nationalstaaten beschwören.
Wir LINKE verteidigen die Souveränität des einzelnen Menschen.
Übrigens unabhängig von der Herkunft.
Wir vertreten ja auch regelmäßig die Position, dass sächsische Politik nicht das Schicksal sächsischer IT-Spezialisten oder Bergleute ausschließlich davon abhängig machen darf, ob irgendwo auf der Welt ein Kapitaleigner gewillt ist, mit ihrer Arbeitskraft Geschäfte machen zu wollen.
Zur Souveränität der Menschen gehört aber auch, selbst zu entscheiden, wo sie arbeiten und leben wollen.
Der Sachse soll nicht gezwungen sein, dem flüchtenden Kapital nach Rumänien oder China hinterher ziehen zu müssen.
Und dem Geflüchteten kann nicht ernsthaft zugemutet werden, nach Ungarn zu ziehen, wenn wir die dort herrschende Politik als fremdenfeindlich einstufen müssen.
Wir haben unser Alternatives Landesentwicklungskonzept Sachsen ALEKSA vor zwölf Jahren veröffentlicht, da habe ich folgendes gefunden:
„Um Fremdenhass zurückzudrängen, muss die Politik für die Menschen langfristig eine wichtige Erfahrung ermöglichen: Zuwanderung bedeutet für sie keine Gefahr, sondern macht Sachsen attraktiver, verbessert Sachsens wirtschaftliche und wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, seinen kulturellen Reichtum und seine demografische Struktur.
Politik muss aber auch kurzfristig darauf einwirken, dass die Integrationsbedingungen von Immigranten verbessert werden, ihre Sprachkompetenz und der soziale Kontakt mit Einheimischen.“ (Zitat Ende)
Zwölf Jahre lang hat die von der CDU dominierte Regierungspolitik genau dies nicht gemacht. Das rächt sich nun.
Ich will die Debatte zu diesem Antrag nutzen, um noch einmal unsere Bereitschaft – trotz meiner gerade vorgetragen Kritik – zu bekräftigen, in einer sehr herausfordernden Zeit mit allen demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten.
Dazu will ich Ihnen unsere „Geschäftsgrundlage“ erläutern.
Wir halten nichts von Leitkultur, aber umso mehr von Grundwerten des Grundgesetzes.
Jahrhunderte haben Menschen gegen Ausbeutung der Arbeitenden und für Rechte der Frauen gekämpft. Das Patriarchat ist für DIE LINKE keine verhandelbare Option, es gibt unumkehrbare Errungenschaften von Emanzipation, die wir verteidigen und noch weiterentwickeln wollen.
Das gilt auch für die Akzeptanz sexueller Vielfalt und Respekt gegenüber Minderheiten und Andersdenkenden.
Toleranz gegenüber Intoleranz darf es nicht geben — weder bei Einheimischen noch bei den Geflüchteten.
Auf dieser Basis führen wir interkulturelle Dialoge. Eine Relativierung dieser Grundwerte von Aufklärung und Humanismus ist mit uns LINKE nicht zu machen.
Regeln und Rituale, die dem zuwiderlaufen, sind aus unserer Sicht illegitim. Sachsen kann, soll und muss Heimat für die unterschiedlichsten Menschen sein, bleiben und werden. Das wird gelingen, wenn an dieser gesellschaftlichen „Geschäftsgrundlage“ sowohl für Einheimische wie Migranten kein Zweifel besteht.
Nachholbedarf an Information und Akzeptanz dieser Grundwerte ist im Übrigen bei Menschen in beiden Gruppen vorzufinden.
Wir LINKE wollen das Soziale stärken und die Bürokratie schwächen!
Solange die Approbation eines ausgebildeten syrischen Arztes, der den mörderischen Machenschaften der Geheimpolizei in Syrien entflohen ist, dadurch blockiert wird, dass er das verlangte polizeiliche Führungszeugnis aus Syrien nicht beibringen kann, haben wir noch eine Unmenge Bürokratie-Abbau vor uns.
Ja, auch wir LINKE müssen dazulernen und uns von der Befürchtung verabschieden, dass hinter jeder Deregulierung Neoliberalismus lauert.
Auch die umstrittene „Vorrangprüfung“ schützt keine deutsche Arbeitnehmer_innen mehr, aber behindert massenhaft Geflüchtete, die an der Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gehindert werden.
Jedoch sollte sich die regierungstragenden Fraktion zu diesem Thema endlich mal verständigen. Während der Wirtschaftsminister Dulig sie abschaffen will, hält Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer dazu seine Gegenrede, man müsse die Interessen deutscher Arbeitnehmer beachten. Er zeigt einmalmehr seine ideologisch bedingte Ahnungslosigkeit. Die Vorrangprüfung heißt im konkreten praktischen Fall, dass zunächst beim arbeitslosen Pizzabäcker in Sizilien nachgefragt werden muss, ob er nicht eine freie Stelle in Dresden besetzen möchte, bevor ein bereits in Sachsen lebender syrischer Pizzabäcker zum Zug kommt. Das ist schlicht verrückt!
Wir können Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil er zu viele blinde Flecke beinhaltet. Zum Beispiel die entsetzlichen Tragödien, die sich zurzeit in der Türkei abspielen, wo Menschen nach Syrien verfrachtet werden und Menschenrechte von Geflüchteten wie von einheimischen Kurdinnen und Kurden mit Füßen getreten werden.
Im Unterschied zu den Flüchtlingsdramen letzten Sommer in Ungarn gibt es davon keine oder kaum Fernsehbilder. Wir dürfen aber unsere Politik nicht davon abhängig machen, ob sie von TV- und Onlinekanälen mit genug sendefähigem Material unterstrichen wird!
Für LINKE ist es keine Lösung, Deutschland und der EU eine weiße Weste dadurch zu verschaffen, dass die Menschenrechtsverletzungen direkt hinter den EU-Außengrenzen stattfinden – letztlich mit Milliarden Euro noch unterstützt. Wir unterstellen Ihnen nicht, dass Sie mit Ihrem Antrag dieses Ziel verfolgen. Aber Ihr Schweigen machen wir nicht mit.
Wir werden Ihren Antrag aber auch nicht ablehnen.
Denn wir wissen die humanitären Ansätze in dem Antrag zu schätzen, auch wenn sie nicht konsequent zu Ende gedacht werden. Aber dabei würden wir Ihnen gerne weiter helfen – bei diesem gesellschaftspolitischen Schlüsselthema verbietet sich rein parteipolitisches Profilierungsstreben.
Im Interesse von Geflüchteten und Einheimischen.
Im Interesse der Verteidigung einer offenen Gesellschaft in Sachsen und Europa.
Glück Auf!