Begrüßungsrede bei der Veranstaltung “Das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada (CETA) – Chance oder Canadian Rodeo für Sachsen?”
Wir wissen, dass Europa, die Welt und Sachsen schon gar nicht, so bleiben können und werden, wie sie sind.
Verstärkt durch die weltweite Flucht und die Migration von Abermillionen Menschen brechen soziale und politische Grundprobleme weiter auf.
Wir befinden uns in einem globalen Krisenmodus. Dieser offenbart, mit den Worten von Hartmut Rosa gesagt, dass das „Geschäft des Neoliberalismus“ ein „aberwitziges, selbstzerstörerisches Steigerungsspiel ohne Ende oder Ziel“ ist.
Wir wissen auch, dass wir alle in diesem Umbruchsprozess miteinander Lernende sind — völlig unabhängig von unserer politischen Orientierung.
Die große Frage ist:
Wollen wir lernen und neue, wirkliche Antworten auf die mehr als drängenden Grundfragen des Lebens geben? Oder suchen wir reflexartig unser Heil im ‚Weiter so‘, nur ‚besser‘ – was immer ‚besser‘ dann heißen mag.
Es hat sich eine gesellschaftliche Grundstimmung von Verlust- und Abstiegsängsten breit gemacht. Menschen haben das Gefühl abgehängt zu sein und befürchten, die Kontrolle über die Grundlagen ihrer Lebenssicherung zu verlieren.
Wir sehen ein enormes Anwachsen angstbesetzter konservativ-nationalistischer Rückbesinnung unter den Menschen und in der Politik. Der Wahlsieg von Trump ist ein Produkt dessen.
Diese Rückbesinnung ist jedoch nur die Reaktion und nicht die Ursache des permanenten neoliberalen Steigerungsspieles, welches am Ende keine Gewinner, sondern nur Verlierer haben wird.
Deshalb empfiehlt der schon zitierte Soziologe Rosa den „Spielabbruch“ und meint, es lohne sich nicht Zitat: „für gerechtere Regeln im kapitalistischen Spiel kämpfen. Denn auch vermeintliche Sieger sind keine Sieger. Sie sind auch nur armselige, raffgierige, orientierungslose Süchtige, die ein unendliches Steigerungsspiel betreiben.“[1]
Sowohl die Vorgänge um das Zustandekommen von CETA als auch der „Aufstand“ einer Region stehen exemplarisch für die Zukunftsängste der Menschen. An dieser Stelle geht es nicht nur um die Frage nach globalisiertem Wirtschaften, sondern auch um demokratische oder undemokratische Entscheidungsprozesse auf nationaler und europäischer Ebene.
Die Ursache für dieses Unbehagen liegt zum einen in der Frage nach dem Inhalt von CETA oder generell dem „Freihandel“ und zum anderen in den Beteiligungsprozessen beim Zustandekommen von CETA.
Vielleicht kann man die derzeitigen Debatten um CETA und Freihandel in drei große Lager teilen:
1) das Lager der Befürworter*innen, die den Ansatz einer neoliberalen Weltwirtschaft befürworten, in der sich der Westen die Pool-Position sichert und für alle anderen die ‚Standards setzen‘ muss
2) das Lager derer, die CETA im Grundsatz befürworten, jedoch z.T. erhebliche Bedenken im Bezug auf einzelne Fragen der Ausgestaltung, z.B. zur Streitbeilegung, zur Landwirtschaft oder dem Verbraucherschutz haben und
3) das – scheinbar große – Lager der Ablehnenden, die den Sinn von CETA bezweifeln und damit diese Art des Handelns und Wirtschaftens grundsätzlich in Frage stellen.
Die Motivation dieser Bewegung gegen CETA und TTIP, welche vom Mainstream oft als ‚ideologisch getrieben‘ und ‚extremistisch‘ verteufelt wird, scheint primär nicht aus einem Widerspruch gegen spezifische Inhalte von Freihandelsabkommen zu liegen.
Vielmehr geht es um eine wesentlich tiefer liegende Besorgnis. Denn sie sehen Ihre Lebensgrundlagen und die Gesellschaft nicht nur auf Landesebene, sondern vor allem auch global bedroht. Sie befürchten, dass dem Steigerungsspiel auch eigene Standards und Sicherheiten zum Opfer fallen. Und das Entwicklungspolitik und Nachhaltigkeit auf der Strecke bleiben.
Durch diesen Gegensatz zwischen globalen Wirtschaftsinteressen und den regionalen Interessen ist die Zustimmung innerhalb der Europäischen Union zum ersten Mal durch ein regionales Parlament, dem der Wallonie, verweigert worden.
Daraufhin bezeichneten manche die Akteur*innen der Wallonie und der Deutschsprachigen Gemeinschaft als „Nestbeschmutzer“ des europäischen parlamentarischen Mehrebenensystems. Dennoch besteht die Wahrheit darin, dass mit dem mutigen Einfordern von Änderungen im Vertragstext sichtbar wurde, dass das politisch-parlamentarische Entscheidungssystem der EU nicht mit den tatsächlichen Interessen der Menschen übereinstimmt.
Ebenso bemerkenswert ist es, dass der Rat der EU am 27. Oktober 2016 ein gemeinsames „Auslegungsinstrument“ zu CETA veröffentlicht hat, um so die elementaren Bedenken der europäischen Bevölkerung auszuräumen. Darin wird festgehalten, dass die Regelungskompetenz der Staaten erhalten bleiben soll. Oder, Ausländische Unternehmen erfahren durch den Investitionsschutz angeblich keine Besserstellung und die öffentliche Beschaffung erfolgt auch in Zukunft nach umwelt‑, sozial- oder arbeitsrechtlichen Kriterien.
Sie zäumen damit das Pferd jedoch von hinten auf. Erst bezieht man die Menschen in der EU nicht in den Entstehungsprozess von CETA ein, sondern erklärt ihnen im Nachhinein, was man ‚Gutes‘ für sie getan hat.
Das ist jedoch genau die herablassende Art der Macht, die glaubt im Besitz des ‚besseren Wissens‘ zu sein und dieses – wenn überhaupt – nur richtig erklären zu müssen.
Meiner Meinung nach, hat die Freihandelsdebatte in der EU einen Diskurs und eine politisch-soziale Bewegung hervorgebracht. Diese Bewegung bringt verschiedene maßgebliche Ebenen eines alternativen Zukunftsdiskurses zum Vorschein. Dieser müssen wir uns verstärkt zuwenden.
Was aus unserer Sicht notwendig ist, ist die Erarbeitung eines Entwurfs zu einer echten Alternative zum „Weiter-so“ und zur rechtspopulistischen Ab- und Ausgrenzung. Diesem Entwurf muss dann konkretes politisches Handeln folgen. Diese Alternative zu finden setzt zunächst eine sachliche Debatte und das Verstehen der Vorgänge voraus.
Wir müssen die Frage klären, wie wir zukünftig in dieser einen Welt leben wollen. Wir müssen klären, was dies auf regionaler und globaler Ebene bedeutet und wie globale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen in Zukunft geordnet werden sollen.
Dazu soll die heutige stattfindende Anhörung und Debatte einen kleinen Beitrag leisten.
Ich danke allen Sachverständigen und Diskutant*innen, dass sie heute hier nach Dresden zu unserer Anhörung gekommen sind und wünsche eine angeregte und für uns alle erkenntnisreiche und gewinnbringende Debatte.
[1] Hartmut Rosa: Spielabbruch, in: Edition Le Monde diplomatique (Hrsg.): Die Krisenmacher. Bürger, Banken und Banditen. Nr.12, 2012.