Das zerbrochene Alte reparieren? Besser neu anfangen!

Ich habe mir Gedanken gemacht und etwas aufgeschrieben:
Das Coro­na-Virus bringt die Gesellschaft und uns alle an Gren­zen – die einen mehr, andere weniger. Vieles, was unum­stößlich schien, wird hin­ter­fragt, Angst und Hoff­nung gehen Hand in Hand. Wir dür­fen fra­gen: Waren die Entschei­dun­gen der Regieren­den für die näch­sten Jahre und Jahrzehnte die richti­gen? Und ist es sin­nvoll, nur wieder aufzubauen, was jet­zt ein­stürzt?
 
Regierun­gen und Par­la­mente han­deln in kaum gekan­nter Geschwindigkeit. Gegen die Aus­bre­itung des Virus müssen auch drastis­che Maß­nah­men ergrif­f­en wer­den. Lei­der müssen wir damit leben, dass inner­halb enger Gren­zen und für einen kurzen Zeitraum Frei­heit­srechte eingeschränkt oder aus­ge­set­zt wer­den. Wir müssen in allererster Lin­ie Leben ret­ten. Aber wir dür­fen nicht vergessen: Viele Prob­leme, die uns jet­zt pla­gen, wurzeln in der Zeit vor der Pan­demie. Für viele geht es schlicht ums Über­leben im All­t­ag, und das in ein­er der größten Wirtschaft­sna­tio­nen der Welt. Wer schon vor der Krise Geld­sor­gen hat­te, hat diese jet­zt umso mehr.
 
Wir kön­nten es uns jet­zt leicht machen und aus unser­er Oppo­si­tion­srolle her­aus mit­teilen, was wir schon immer bess­er gewusst haben. Doch darum geht es nicht, und so leicht ist es auch nicht. Gle­ich­wohl ist es unsere Auf­gabe, aus Missstän­den und unser­er Kri­tik daran zukun­fts­ge­wandte Ideen abzuleit­en. In ein­er Krise, die vieles in Frage stellt, eröff­nen sich neue Per­spek­tiv­en, und ich bin überzeugt, dass wir mehr anstreben müssen als eine Rück­kehr in die „alte Zeit­en“. Wir kön­nen und soll­ten Grund­sät­zlich­es verän­dern, denn das alte Lied, dass staatliche Inter­ven­tio­nen in Wirtschaft und Gesellschaft Teufel­szeug und „die Poli­tik­er“ nicht hand­lungs­fähig seien, ist ver­s­tummt. Ich möchte an drei Bere­ichen zeigen, wie wir aus der Krise in eine gerechtere und sol­i­darische Gesellschaft starten soll­ten.
 
Regionalere Wirtschaft mit guten Löh­nen hil­ft allen
 
Neuor­gan­i­sa­tion fängt bei der Wirtschaft an. Sach­sens Unternehmensland­schaft beste­ht vor allem aus kleinen und mit­tleren Betrieben, viele haben nur eine Hand­voll Beschäftigte oder kämpfen allein, mit Kle­in­stun­ternehmen oder als Soloselb­st­ständi­ge. Die wenig­sten kon­nten Rück­la­gen bilden und ste­hen jet­zt, da die Ein­nah­men weg­brechen, schnell vor dem Aus. Das geht vom Laden mit „Waren des täglichen Bedarfs“ über den Friseur­sa­lon bis hin zu Kul­turschaf­fend­en.
 
Kred­ite helfen da kaum. Aber auch Sofort­pro­gramme und unbürokratis­che Liq­uid­ität­shil­fen kön­nen über das Gefühl der Unsicher­heit nicht hin­wegtäuschen. Denn nie­mand weiß, wie lange die Krise dauert. Deshalb müssen wir auf­passen, dass uns die „Kleinen“ nicht weg­brechen. Wir müssen ihre Basis sich­ern, alle gemein­sam, indem wir regionale Wirtschaft­skreis­läufe ankurbeln. Die Bevorzu­gung des Lokalen vor dem Inter­na­tionalen ist nicht nation­al­is­tisch, son­dern ein Beitrag zur Nach­haltigkeit. Wir müssen unab­hängig von der Coro­n­akrise Förder­pro­gramme umbauen, etwa das Pro­gramm „Vitale Dor­fk­erne und Ort­szen­tren im ländlichen Raum“ zu „Dor­flä­den in Sach­sen“. Wir soll­ten die Clus­ter-Bil­dung der regionalen Wirtschaft fördern und Betriebe enger mit öffentlichen Forschung­sein­rich­tun­gen ver­net­zen. Der Fokus sollte dabei auf ökol­o­gisch sin­nvollem Wirtschaften liegen. Mit Blick auf größere Unternehmen, die nun viel staatliche Hil­fe bekom­men, darf die Über­nahme von unternehmerischem Eigen­tum kein Tabu sein. Mehr öffentlich­es und Belegschaft­seigen­tum nützt der Gesellschaft, vor allem in Bere­ichen, ohne die sie nicht leben kann: Pflege und Gesund­heit, Wohnen, Energiev­er­sorgung, aber auch Mobil­ität.
 
Es geht zudem um Anerken­nung und Wertschätzung. Wir haben vorgeschla­gen, dass die All­ge­mein­heit all jenen zehn zusät­zliche Urlaub­stage spendiert, die während der Pan­demie inten­siv­en Kon­takt mit Men­schen pfle­gen mussten – ob als Altenpflegerin oder als Verkäufer. Doch Anerken­nung muss sich langfristig zeigen. Wir kön­nen nicht im Land­tag beschließen, dass die Löhne steigen müssen. Aber wir kön­nen Druck machen, etwa indem wir öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben, die nach­haltig wirtschaften und ihre Leute anständig bezahlen.
 
Gesund­heit für alle gibt es nur, wenn alle mit­machen
 
Auch wenn wir im Ver­gle­ich zu anderen europäis­chen Län­dern gut daste­hen, spürt unser Gesund­heitswe­sen diese Krise stark. Wir erleben jet­zt, wie anfäl­lig Pri­vatisierun­gen und Kos­ten­druck das Sys­tem gemacht haben. Kranken­häuser hal­ten Kapaz­itäten für Coro­na-Erkrank­te frei, schieben andere Oper­a­tio­nen auf und kom­men dadurch in Geld­not. Pri­vatver­sicherte Selb­st­ständi­ge, die ohne Ein­nah­men daste­hen, müssen vom Staat vor der Gier ihrer Ver­sicher­er geschützt wer­den. Welch ein Irrsinn, und das sind nur zwei Beispiele!
 
Wenn wir eines aus der Krise ler­nen, dann dass Gesund­heit sich wed­er rech­nen muss noch rech­nen darf. Prof­it ist dort der völ­lig falsche Ansatz. Wir brauchen ein sta­biles Gesund­heitswe­sen, das ver­lässlich für alle da ist. Das ist nur möglich, wenn alle es sol­i­darisch mit­fi­nanzieren, egal wie viel Geld sie haben und wie viele oder wenige Leis­tun­gen sie ihrer jet­zi­gen Leben­sphase brauchen. Die Ver­nun­ft gebi­etet es, eine Krankenkasse für alle einzuricht­en, die nur jene bere­ichert, die es ver­di­enen: die Pati­entin­nen und Patien­ten, und natür­lich das medi­zinis­che Per­son­al. Der Wohl­stand unser­er Gesellschaft hängt nicht nur vom Stahlw­erk­er, dem Auto­bauer oder der IT-Spezial­istin ab, son­dern auch von allen, die dafür sor­gen, dass wir gesund unseren Tätigkeit­en nachge­hen kön­nen. Wir müssen das Pflegeper­son­al bess­er bezahlen und für eine gute Aus­bil­dung des gesamten medi­zinis­chen Per­son­als sor­gen. Und wir müssen die Kranken­häuser bess­er ausstat­ten. Das ist bezahlbar – wenn alle mit­machen.
 
Eine zweite Lehre sollte laut­en: Gesund­heit­spoli­tik muss stärk­er auf Präven­tion set­zen. Der Öffentliche Gesund­heits­di­enst, vul­go die Gesund­heit­sämter, muss endlich bess­er aus­ges­tat­tet wer­den. Wir brauchen in Sach­sen ein Lan­des­ge­sund­heit­samt, das den Bedarf hin­sichtlich der medi­zinis­chen Ver­sorgung erfasst und eine Koor­dinierungs­funk­tion übern­immt.
 
Bil­dung für alle dig­i­tal­isieren
 
Wie sehr unser Bil­dungssys­tem hin­ter­her­hinkt, zeigt sich jet­zt deut­lich. Die Lehrkräfte bemühen sich redlich, aus der Not eine Tugend zu machen, aber sie kön­nen nicht aus­gle­ichen, was die Regieren­den ver­säumt haben. Kinder und Eltern müssen es jet­zt aus­baden. Wenn dig­i­tales Ler­nen nur heißt, einen Berg an Auf­gaben per E‑Mail zu bekom­men, ist das nicht zufrieden­stel­lend. Und es ver­schärft soziale Ungle­ichgewichte im Schul­we­sen. Denn wenn der Präsen­zun­ter­richt fehlt, der unter­schiedliche Startbe­din­gun­gen und Chan­cen aus­gle­ichen kann, bekom­men Kinder aus ärmeren Eltern­häusern noch weniger Förderung als son­st. Wo das Geld fehlt für großzügi­gen Wohn­raum, dig­i­tale Endgeräte, eine schnelle Leitung ins Netz, einen Kinder-Schreibtisch oder ganz pro­fan für Druck­er­pa­tro­nen, schlägt die Krise noch stärk­er durch. Vor allem in Fam­i­lien, die ihr Zusam­men­leben auf teil­weise eng­stem Raum organ­isieren müssen, ist noch mehr Stress vor­pro­gram­miert. Die Debat­te, ob wir die Som­mer­fe­rien stre­ichen, ist absurd.
 
Nur der Staat kann dafür sor­gen, dass alle Kinder ähn­liche Chan­cen und Lern­vo­raus­set­zun­gen bekom­men. Wir müssen grund­sät­zlich klären, wie wir Bil­dung für alle wirk­lich dig­i­tal­isieren kön­nen. Ich finde, dass jedem Schulkind ein dig­i­tales Endgerät gestellt wer­den sollte, und dass die Lan­desregierung endlich auch im entle­gen­sten Winkel einen schnellen Inter­net­zu­gang ermöglichen muss. Doch auch der richtige Umgang mit den Geräten und dig­i­tal­en Lern­in­hal­ten ist entschei­dend. Dafür brauchen Lehrerkräfte regelmäßige Weit­er­bil­dun­gen.
 
Die Pan­demie zwingt uns per­spek­tivisch auch zur Verkleinerung der Lern­grup­pen. Auch hier treibt die Krise voran, was längst hätte passieren müssen: Indi­vidu­elle Förderung gelingt nur, wenn Lehrkräfte sich nicht um zu viele junge Men­schen küm­mern müssen. Und es gibt sie, neben­bei bemerkt, am besten mit län­gerem gemein­samen Ler­nen. Spätestens jet­zt wird auch klar: Wir brauchen Schul­ge­bäude, die eine Beschu­lung außer­halb von Klassen­ver­bün­den und ‑räu­men ermöglichen, die flex­i­bel gestalt­bar sind, offene Denkräume und Lern­land­schaften schaf­fen. Kreative Köpfe brauchen kreative Meth­o­d­en. Und weil es sich mit vollem Magen bess­er lernt, sollte jedes Kind kosten­frei ein gesun­des Mit­tagessen bekom­men.
 
Die Auf­gaben­liste ist lang. Es ist Zeit für Neues. Leg­en wir los!“
 
Ungekürzte Fas­sung des Papiers:
https://linksfraktionsachsen.de/fileadmin/gemeinsamedateien/upload/Corona_Text_April_gae_22_April.pdf